Solange es hell ist
Sie nachhause.«
»Nein, nein, nein!«
Er sah sich gezwungen, sich ihrer Beharrlichkeit zu beugen, und begleitete sie nur bis zum U-Bahnhof.
»Lebe wohl, Liebster.« Sie umklammerte seine Hand mit einer Heftigkeit, an die er sich noch lange erinnern sollte.
»Lebe wohl, aber nur bis morgen«, erwiderte er munter. »Um zehn Uhr, wie üblich, und dann werden wir einander unsere Namen sagen und unsere Lebensläufe erzählen und schrecklich praktisch und prosaisch sein.«
»Lebe wohl, auch du, Paradies«, flüsterte sie.
»Das wird immer bei uns sein, mein Engel!«
Sie lächelte ihn an, aber wieder mit diesem traurigen, flehentlichen Blick, der ihn mit Besorgnis erfüllte und den er nicht ergründen konnte. Dann trug der erbarmungslose Aufzug sie nach unten davon.
Ihre letzten Worte hatten ihn seltsam beunruhigt, aber er verbannte sie entschlossen aus seinen Gedanken und ersetzte sie durch freudige Erwartung des morgigen Tages.
Um zehn Uhr war er zur Stelle, am gewohnten Ort. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie feindselig die anderen Idole auf ihn herabblickten. Es hatte fast den Anschein, als besäßen sie ein verborgenes böses Wissen, das ihn betraf und über das sie sich hämisch freuten. Ihre Abneigung machte ihn beklommen.
Die kleine Lady hatte sich verspätet. Warum kam sie nicht? Die Atmosphäre des Saales begann ihn nervös zu machen. Noch nie war ihm sein kleiner Freund – sein und ihr Gott – so absolut machtlos erschienen wie heute. Ein hilfloser Block aus Stein, der in seine eigene Verzweiflung vertieft war!
Seine Überlegungen wurden von einem kleinen, aufgeweckten Jungen unterbrochen, der sich neben ihn gestellt hatte und ihn ernst von Kopf bis Fuß musterte. Mit dem Ergebnis seiner Beobachtungen offenbar zufrieden, hielt er ihm einen Brief hin.
»Für mich?«
Es stand kein Name darauf. Er nahm den Brief, woraufhin sich der kleine Junge aus dem Staub machte.
Frank Oliver las langsam und ungläubig den Brief. Er war nur kurz.
Liebster,
Ich kann Sie nicht heiraten. Bitte vergessen Sie, dass ich je in Ihr Leben trat, und versuchen Sie mir zu verzeihen, falls ich Sie ve r letzt habe. Versuchen Sie nicht, mich zu finden, denn es wird zwecklos sein. Ich sage wirklich »Lebewohl«.
Die Einsame Lady
Es folgte ein Postskriptum, das offenbar im letzten Moment hinzugefügt worden war:
Ich liebe Sie. Ich liebe Sie wirklich.
Und dieses kleine impulsive Postskriptum war sein einziger Trost in den Wochen, die darauf folgten. Selbstredend missachtete er ihre ausdrückliche Anweisung, nicht nach ihr zu suchen, aber es war alles vergebens. Sie war wie vom Erdboden verschluckt, und er hatte keinen Anhaltspunkt, um sie ausfindig machen zu können. Verzweifelt gab er Annoncen auf, in denen er sie in verschleierten Worten beschwor, ihm wenigstens eine Erklärung für ihr rätselhaftes Verhalten zu geben, aber der Lohn für seine Bemühungen war nur undurchdringliches Schweigen. Sie war fort, würde nie mehr zurückkommen.
Und da begann er zum ersten Mal in seinem Leben, wirklich zu malen. Seine Technik war schon immer gut gewesen. Nun gingen Kunstfertigkeit und Inspiration eine glückliche Verbindung ein.
Das Bild, mit dem er sich einen Namen machte und das seinen Ruhm begründete, wurde angenommen und in der Akademie ausgestellt und galt als das Bild des Jahres, sowohl wegen der hervorragenden Behandlung des Themas als auch wegen der meisterhaften Ausführung und Technik. Außerdem besaß es etwas Rätselhaftes, das es auch für das breite Publikum interessant machte.
Die Anregung dazu hatte ihm der Zufall geliefert. Ein Märchen in einer Zeitschrift hatte seine Fantasie beflügelt.
Es war die Geschichte einer vom Glück gesegneten Prinzessin, die immer alles bekam, was sie wollte. Äußerte sie einen Wunsch, so wurde er auf der Stelle erfüllt. Eine Bitte? Sie wurde gewährt. Die Prinzessin hatte liebevolle Eltern, große Reichtümer, wunderschöne Kleider und prächtigen Schmuck, Sklaven, die sie bedienten und jeder Laune von ihr nachkamen, lachende Gespielinnen, die ihr Gesellschaft leisteten, alles, was das Herz einer Prinzessin nur begehren konnte. Die stattlichsten und reichsten Prinzen machten ihr den Hof und hielten vergebens um ihre Hand an und waren bereit, Drachen ohne Zahl zu töten, um ihre Liebe zu beweisen. Dennoch war die Einsamkeit der Prinzessin größer als die des ärmsten Bettlers im Lande.
Er hörte auf zu lesen. Das weitere Schicksal der Prinzessin
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