Solange es hell ist
1901, mit ihrer Mutter in Abney Hall in Stockport verbracht hatte. Abney Hall war von Sir James Watts gebaut worden, ehemals Lord Mayor von Manchester und Großvater von James Watts, dem Mann von Christies älterer Schwester Madge. In ihrer 1977 veröffentlichten Autobiografie schreibt Christie über Abney Hall: »Für ein Kind war es ein wunderbares Haus, um darin Weihnachten zu feiern. Es war ein riesiges Anwesen im viktorianischen Stil und besaß nicht nur eine Unzahl von Zimmern, Gängen, unerwarteten Stufen, Hintertreppen, Vordertreppen, Alkoven, Erkern – alles, was ein Kind sich nur wünschen kann –, sondern auch eine Orgel und drei verschiedene Klaviere, welche man spielen konnte.« An anderer Stelle beschreibt sie »die Tische, die unter der Last der Schlemmereien ächzten, und die großzügige Gastlichkeit… Es gab dort eine für jedermann zugängliche Speisekammer, in der man sich an Schokolade und Näschereien aller Art gütlich tun durfte, wann immer man wollte.« Und wenn Agatha nicht gerade mit Essen beschäftigt war – gewöhnlich im Wettstreit mit James Watts’ jüngerem Bruder Humphrey –, dann spielte sie mit ihm und seinen Brüdern Lionel und Miles und deren Schwester Nan. Vielleicht hatte sie diese Jugendfreunde im Sinn, als sie über die Kinder in der Geschichte schrieb und den Spaß, den diese an einem verschneiten Christfest mit »einem leibhaftigen Detektiv im Haus« hatten.
Der einsame Gott
The Lonely God
E r stand auf einem Regal im Britischen Museum, allein und verlassen inmitten einer Gesellschaft offensichtlich bedeutenderer Gottheiten. Diese ringsherum an den vier Wänden aufgereihten erhabeneren Wesen schienen allesamt ein übermäßig ausgeprägtes Bewusstsein der eigenen Überlegenheit zur Schau zu stellen. Auf dem Sockel eines jeden war das Land und das Volk vermerkt, das stolz gewesen war, ihn zu besitzen. An ihrer Stellung war nicht zu zweifeln; sie waren Gottheiten von Rang und als solche anerkannt.
Nur der kleine Gott in der Ecke stand abseits und außerhalb ihrer Gesellschaft. Grob aus grauem Stein gehauen, die Gesichtszüge im Laufe der Zeit von Wind und Wetter fast unkenntlich gemacht, saß er entrückt abseits, die Ellbogen auf den Knien, den Kopf in den Händen vergraben; ein einsamer kleiner Gott in einem fremden Land.
Es gab keine Inschrift, die das Land genannt hätte, aus dem er kam. Er war in der Tat verloren, ohne Ehre oder Ruhm, eine armselige kleine Figur, fern der Heimat. Niemand beachtete ihn, niemand blieb stehen, um ihn sich anzuschauen. Warum auch? Er war völlig unbedeutend, ein grauer Steinblock in einer Ecke. Rechts und links von ihm befanden sich zwei mexikanische Götter, vom Alter geglättet, gelassene Idole mit gefalteten Händen und grausamen Mündern, die zu einem Lächeln verzogen waren, das offen ihre Verachtung für die Menschheit zeigte. Außerdem gab es da einen rundlichen, ungemein anmaßenden kleinen Gott mit geballter Faust, der offenkundig an übersteigertem Selbstbewusstsein litt; dennoch blieben Vorbeikommende gelegentlich stehen, um ihn flüchtig zu betrachten, wenn auch nur, um über den Gegensatz zwischen seiner Aufgeblasenheit und der lächelnden Gleichgültigkeit seiner mexikanischen Begleiter zu schmunzeln.
Und der kleine verlorene Gott saß mutlos da, den Kopf in den Händen, wie er jahrein, jahraus dagesessen hatte, bis eines Tages das Unmögliche geschah und er jemanden fand, der ihm huldigte.
»Post für mich?«
Der Portier holte einen Packen Briefe aus einem Fach, sah sie flüchtig durch und sagte mit ausdrucksloser Stimme:
»Nichts für Sie, Sir.«
Frank Oliver seufzte, als er den Club wieder verließ. Es gab keinen besonderen Grund, weshalb etwas für ihn hätte da sein sollen. Nur wenige Leute schrieben ihm. Seit er im Frühjahr aus Burma zurückgekehrt war, wurde ihm seine zunehmende Einsamkeit mehr und mehr bewusst.
Frank Oliver war ein Mann knapp über Vierzig, der die letzten achtzehn Jahre seines Lebens in verschiedenen Teilen der Erde verbracht hatte und zwischendurch nur kurz auf Urlaub in England gewesen war. Erst nachdem er sich zur Ruhe gesetzt und für immer in der Heimat niedergelassen hatte, wurde ihm zum ersten Mal klar, wie allein er doch auf der Welt war.
Gewiss, da war seine Schwester Greta, die mit einem Geistlichen aus Yorkshire verheiratet war und alle Hände voll zu tun hatte, in der Kirchengemeinde mitzuhelfen und ihre kleinen Kinder großzuziehen. Greta hatte ihren einzigen
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