Solar
hin, reihte wahllos Töne aneinander, was sich anhörte wie eine ernste avantgardistische Komposition. Normalerweise verstand Beard es meisterhaft, lästigen oder beunruhigenden Gedanken aus dem Weg zu gehen, doch jetzt, in seiner gedrückten Stimmung, brütete er über seine Gesundheit, starrte den rötlich braunen Fleck an, dieses Niemandsland an seinem Handgelenk. Das Ergebnis der Biopsie lag vor. Am Morgen hatte Dr. Eugene Parks bestätigt, dass es sich um ein Melanom handelte und es einen halben Millimeter tiefer in das benachbarte Gewebe vorgedrungen war als wünschenswert. Er nannte einen Spezialisten in Dallas, der es noch morgen entfernen und mit der Strahlentherapie anfangen könne. Da Beard jedoch die Einweihung in Lordsburg nicht versäumen wollte, entgegnete er Parks, er werde im Lauf des Monats wiederkommen, sowie er Zeit habe. Parks erklärte ihm auf seine verbindliche, ruhige Art, dies sei unvernünftig. Er habe keine Zeit zu verlieren, bald gebe es kein Zurück mehr, man müsse mit Metastasen rechnen.
»Seien Sie kein Leugner«, hatte Doktor Parks gesagt, offenbar in Anspielung auf ihre Konversation über den Klimawandel. »Das geht nicht einfach weg, bloß weil Sie es nicht wahrhaben wollen oder nicht daran denken.«
Und das war nur ein Teil der schlechten Nachrichten, auch wenn der Rest für ihn nichts Neues war. Beard hatte den Oberkörper freigemacht und knöpfte sich gerade mürrisch sein Hemd wieder zu. Die Sprechzimmer lagen im neunzehnten Stock eines Bürogebäudes im Zentrum von El Paso, in derselben Etage, erinnerte sich Beard, in der seine Mutter gestorben war. Parks, dessen Familie ursprünglich aus Saint Kitts stammte, roch immer nach Pfefferminz. Über dem klugen, ledrigen Gesicht des älteren Schwarzen lag ein silbriger Schimmer. Sein Kopf ragte vor wie der einer Schildkröte und wackelte freundlich, wenn Beard etwas sagte. Er war so alt wie Beard, aber eine Handbreit größer, und hielt sich in Form, wie er erzählte, indem er jeden Morgen zwischen sechs und sieben, bevor er den ersten Patienten empfing, im Schwimmbad seine Bahnen zog. Für Beard war es unvorstellbar, um diese Tageszeit nass zu sein, oder auch nur wach; mit solchen Heldentaten würde er niemals mithalten können, eine so grausame Schinderei war ein zu hoher Preis dafür, seinen Body-Mass-Index zu senken.
Gewiss, der Arzt hielt keine Vorträge oder Moralpredigten, doch seine unbeteiligte, geradezu kränkende Offenheit war auch nicht viel besser. Bei jedem Punkt seiner Aufzäh lung der drohenden körperlichen Katastrophen ruckte sein kluger Schildkrötenkopf ein wenig weiter vor, und Parks klopfte sich mit einem Bleistift sanft in die Hand. Niemand, sagte er, nicht einmal Beard selbst, würde freiwillig mit Beards Körper herumlaufen. Er schleppe fünfundsechzig Pfund zu viel mit sich herum, das entspreche dem Marschgepäck eines Infanteristen. Seine Knie und Knöchel seien unter der Last angeschwollen, man müsse mit Arthrose rechnen, seine Leber sei vergrößert, der Blutdruck wieder zu hoch, das Risiko einer kongestiven Herzinsuffizienz nehme rapide zu. Selbst nach englischen Maßstäben habe er zu viel schlechtes Cholesterin im Blut. Er leide ganz offensichtlich an Atemnot und werde mit einiger Wahrscheinlichkeit Diabetes mellitus bekommen, auch die Gefahr von Prostata- und Nierenkrebs sowie einer Thrombose nehme ständig zu. Sein einziges Glück - Glück, registrierte Beard, nicht Tugend - bestehe darin, dass er nicht nikotinsüchtig sei, sonst wäre er vermutlich schon tot.
Kopf und Schultern des Arztes wurden von einem großen, nach Süden gehenden Spiegelglasfenster umrahmt, ein gleißender Ausschnitt des dunstig weißen Himmels, der die drückende Morgenhitze erahnen ließ. Gelegentlich zog ein Flugzeug in weitem Bogen über die Stadt, bevor es im Osten zur Landung ansetzte. Auf der anderen Seite des Flusses lag Juarez, zurzeit die Welthauptstadt in Sachen Mord: Drogengangs fochten dort ihre Bandenkriege aus, und wo sie schon mal dabei waren, schlachteten sie Soldaten, Richter, Polizisten und städtische Beamte gleich mit ab. Seit neuestem heuerten die mexikanischen Kartelle arbeitslose texanische Teenager als Vollstrecker an. - Zweifellos würde das Leben auch ohne Michael Beard weitergehen. Während Parks ihm aufzählte, was die Zukunft für ihn bereithalte, beschloss Beard, seine jüngste Errungenschaft, die klassischen, wiederkehrenden Beklemmungsgefühle in der Brust, für sich zu behalten. Das würde
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