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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Als er sich in die wohltuende Kühle über der Rückbank beugte, nach seinem Strohhut griff und ein paar Sekunden lang so verweilte, begann er sich besser zu fühlen. Das Ganze dauerte keine fünfzehn Sekunden. Hammer, der auf der anderen Seite des Autos stand, bekam nichts davon mit.
    Die beiden Männer gingen beeindruckt ein paar Schritte von der Straße weg. Die Hitze bewirkte einen Sinnentaumel. Sie war ohrenbetäubend und vulgär, sie ragte über ihnen auf, ihr Gewicht lastete massig auf ihren Köpfen, sie sprang vom Erdboden auf und schlug ihnen ins Gesicht. War es zu glauben, dass Photonen keine Masse haben sollten?
    »Da haben wir es!«, schrie Beard und schwang wie siegesgewiss die erhobene Faust, um sein seltsames Schwanken zu überspielen und sich durch den Klang seiner Stimme zu vergewissern, dass er noch der Alte war. »Das nenne ich Energie!«
    »Alle Macht der Energie!«, sagte Hammer. »Aber mir reicht's.«
    Hammer setzte sich ins Auto zurück, hinters Steuer, und Beard kletterte erleichtert auf den Sitz neben ihm. Er war noch zu zittrig zum Fahren. Jetzt fuhren sie mit fast achtzig Meilen, so dass sie Hachita und Playas nach weniger als einer halben Stunde hinter sich hatten, und überquerten schließlich die kontinentale Wasserscheide unterhalb der Pyramid Mountains in Hidalgo County im Stiefelabsatz des Bundesstaates. Ihr Grundstück jenseits von Lordsburg war keine Stunde mehr entfernt, und je näher sie kamen, desto munterer und lauter wurden sie, eher wie Jungen vom Land auf dem Weg zu einer Hoedown-Disco als wie Sechzigjährige, auf denen ungeheure Verantwortung lastete. Sie sangen >The Yellow Rose of Texas<, das munterste Lied, das ihnen zu New Mexico einfiel. Der Weg war lang und steinig gewesen, gemeinsam hatten sie dafür unangenehme, zuweilen beklemmende Reisen durch den Nahen Osten auf sich genommen und den amerikanischen Südwesten abgeklappert. Dazwischen waren sie jeder für sich allein ihren Labor- und Büroarbeiten nachgegangen, und jetzt waren sie endlich am Ziel: Sie würden die Lösung des Rätsels präsentieren, das uralte Geheimnis der Pflanzen lüften und die Welt mit ihrer Version von billiger, sauberer und zuverlässiger Energie in Erstaunen versetzen. Um der alten Zeiten willen, und weil es ihr Lieblingslokal war, bogen sie an der Kreuzung in Animas nach Süden ab und hielten auf dem staubigen Parkplatz des Panther-Tracks-Imbiss direkt neben dem Streifenwagen des Sheriffs.
    Hammer hatte Animas zur freundlichsten Landgemeinde der Staaten hochstilisiert. Falls dort jemals Bürgersteige eingeführt würden, sagte er, werde er nicht mehr kommen. Der Imbiss - der beste westlich des Mississippi - war ein weiß gestrichener Schuppen mit ein paar Fenstern. Sie traten ein, ließen die Hitze des frühen Nachmittags hinter sich und blieben erst einmal stehen, bis sich ihre Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten. Der Sheriff und ein weiterer Ordnungshüter besprachen sich leise über ihren Kaffeebechern, sie waren die einzigen Kunden. Im Panther Tracks bestellte man nicht, was man wollte, sondern was zu haben war. Heute gab es Pfannkuchen mit Speck. Der Kaffee war jene besonders dünne Brühe, die man im amerikanischen Süden bevorzugt. Während sie auf ihr Essen warteten, nahm Beard seinen Palmtop heraus. Am Vormittag im Hotel waren neue Nachrichten eingegangen, die Beard sich noch nicht angesehen hatte. Als Erstes sprang ihm der Name P. Banner entgegen, das war Patrice, seine fünfte Exfrau, jetzt mit einem Schönheitszahnarzt verheiratet, Charles, der sie fast ebenso abgöttisch liebte wie Beard vor neun Jahren. Sie hatte noch kurz als Schulleiterin gearbeitet, bevor dann innerhalb von vier Jahren drei Babys gekommen waren. Und Beard hatte sie immer erzählt, sie wolle keine Kinder. Von ihm hatte sie jedenfalls keine gewollt. Interessant, dass dieser Charles klein und dick war, zwei Jahre älter als Beard und noch weniger Haare auf dem Kopf hatte. Als seien Ehen korrigierte Versionen des ewig gleichen Entwurfs.
    Vor einem Jahr hatte er sie zufällig im Regent's Park mit ihrem Sohn getroffen, einem zierlichen Fünfjährigen mit Mädchenlocken. Sie war nett zu ihm, und er fand sie immer noch schön. Sie setzten sich auf eine Bank und unterhielten sich eine Viertelstunde. Beard gelang es, sich an die einzige Frage heranzupirschen, die ihn interessierte. Ob sie immer noch fremdging? Ja, schon möglich, war ihre ausweichende Antwort, aber er habe keine Chance, falls er darauf

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