Solar
und an den Wänden hingen nur einige wenige Bilder, zumeist Lithographien von Tanzstudien. Melissa hatte auch eine kleine Skulptur, eine Figur von Henry Moore. Leere Flächen rechtfertigten sich durch ihren staubfreien Glanz. Im Schlafzimmer lagen keine Kleider herum, und das Bett, glatt wie ein Mühlteich, stand in seiner Größe denen in amerikanischen Hotels in nichts nach. Beard brachte es fertig, die Atmosphäre einer solchen Wohnung binnen weniger Minuten zu zerstören, dazu musste er sich nur hinsetzen, sich aus seinem Mantel wursteln, seine Aktentasche aufmachen und die Schuhe ausziehen - er fühlte sich nur zu Hause, wenn er keine Schuhe anhatte. Dennoch, Melissas Wohnung beeindruckte ihn, sie war für ihn der Inbegriff geistiger Freiheit; er gab sich alle Mühe, sie nicht in Unordnung zu bringen, teilweise sogar mit Erfolg.
Ein Einbrecher, der die Alarmanlage ausschaltete und sich, bevor er sich an die Arbeit machte, hier ein wenig umsah, hätte weder das Wesen noch das Geschlecht des Bewohners erraten können. Alles in der Wohnung war gedämpft, kühl, maskulin, die vorherrschenden Farben helle Brauntöne und Schlachtschiffgrau. In ihren Läden hingegen, wie auch im Bett, ging es bei Melissa laut und grell, fröhlich und üppig zu. Sie war nur zwei Fingerbreit größer als ihr Michael, mit weichen Rundungen und breiten Hüften wie eine Badende von Renoir, jedoch keineswegs so unförmig wie Beard. Sie hatte schwarzes, gelocktes Haar (ob es Naturlocken waren, fragte er nicht), dunkle Augen und einen wunderbaren Teint - ein Nussbraun, das an den Wangenknochen leicht ins Rote changierte, wenn sie wütend war oder überglücklich. Angeblich hatte sie von ihrer Urgroßmutter her einen Schuss Blut aus Tobago und Venezuela in den Adern, wie einen Spritzer Angostura, sagte sie. Wie dem auch war, jedenfalls lebte sie bei großer Hitze auf, hasste Kälte - für sie alles unter fünfzehn Grad - und meinte, sie gehöre eigentlich in südlichere Gefilde, aber zum Auswandern sei es mittlerweile zu spät.
Vielleicht hatte sie die Ausstattung der Wohnung in der Fitzroy Street mit Bedacht gewählt, um ihre Garderobe noch besser zur Geltung zu bringen. Sie trug kühn gemusterte Stoffe (das Tobago-Erbe) und Seide in kräftigen Farben und besaß eine ganze Sammlung von Stilettos in Rot, Grün, Schwarz - sowie pastellfarbene Ballerinas, die zu keinem ihrer Kleider passten. Saß sie so bunt gewandet vor ihrer neutralen Wand auf dem dunklen Sofa, leuchtete sie in Beards Augen wie ein Gauguin frisch von den Marquesas-Inseln.
Wenn er zu Besuch kam, braute sich am Herd ein Tropensturm zusammen. Die Palette ihrer Speisen war pikant und ganz nach seinem Geschmack. Das Gesunde daran wurde mühelos durch reichliche Nachschläge wettgemacht. Sie selbst aß nur wenig, sah ihm aber glühend vor Begeisterung beim Essen zu und meinte, die scharfen Gewürze würden sein Fett verbrennen und ihn zu einem feurigen Liebhaber machen - oder aber: Sie mäste ihn, damit er nie mehr davonlaufen könne. Letzteres kam der Wahrheit näher. Nach einer solchen Mahlzeit hing er wortkarg schwitzend im Sessel und brauchte eine halbe Stunde, um sich zu erholen; keine Rede davon, dass er sich schlanker fühlte oder auch nur die leiseste Erregung verspürte.
Womit hatte er sie nur verdient? An Winterabenden ließ sie ihm ein Bad ein, stellte Kerzen auf und zwängte sich zu ihm in die extragroße freistehende Wanne. Sie kaufte ihm Hemden, Seidenkrawatten, Parfüm, Wein, Whisky (sie selbst trank nicht), Unterwäsche und Socken. Wenn er wieder wegmusste, buchte sie seine Flüge für ihn. Als klägliche Gegenleistung brachte er ihr kostspielige Geschenke aus Duty-free-Shops mit, eine moderne Form des Geizes, bei der himmelschreiende Bequemlichkeit und kalkuliertes Steuersparen zusammenwirken, aber das schien sie nicht zu stören. Sie liebte seine Arbeit, die Physik, seine unentzifferbaren photovoltaischen Berechnungen, sein »Arabisch«, diese Zettel, die er überall auf den Eichendielen verstreute, und immer wieder ließ sie sich die Symbole von ihm erklären, die Bra-Ket von Dirac, die Tensorprodukte, die Young-Diagramme. Dabei hatte sie selbst das Zeug zur Mathematikerin. Das Sudoku in der Morgenzeitung füllte sie eben in null Komma nichts aus wie andere Leute ein Formular, bevor sie zur Arbeit hetzte. Sie fand sein Tun lobenswert und verfolgte gewissenhaft alle Pressemeldungen über den Klimawandel. Einmal jedoch erklärte sie ihm, dass, wenn man die Sache
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