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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Veröffentlichung.
    Wie ein König in roter Robe auf seinem nächtlichen Thron, betrachtete er sich sein Reich. Die Idee mit den Eisenspänen war zweckmäßig und zeugte von Anstand; er durfte sich auf keinen Fall unterkriegen lassen. Er würde die hundertsechzig Hektar in New Mexico kaufen. Auf dem Gelände gab es uralte, aber voll funktionsfähige Stromleitungen an wackligen Holzmasten, Quellwasser war ebenfalls vorhanden. Eines Tages wäre dieses karge Fleckchen Erde ein gleißender Ozean aus Tausenden von Glaspaneelen, die, vollgepackt mit Spiralen durchsichtiger Schläuche, dem Lauf der Sonne folgten und aus Licht und Wasser nahezu kostenlos Wasserstoff und Sauerstoff gewannen. Kompressoren würden den Wasserstoff in gewaltige Tanks einlagern. Ließ man zu, dass Sauerstoff und Wasserstoff sich wieder verbanden, würde dadurch Energie für den Betrieb der Brennstoffzellengeneratoren erzeugt. Das Kraftwerk würde Lordsburg Tag und Nacht mit Strom versorgen und die Neonreklamen der winzigen Einkaufsmeile zum Leuchten bringen. Bei zunehmender Kapazität kämen die Ortschaften in der Umgebung hinzu - Redrock, Virden, Cotton City und schließlich Silver City. Die Welt würde sehen und staunen.
    Endlich stand er auf, hüllte sich in seinen Morgenmantel, stieg in dem dunklen Wohnzimmer über die von ihm verstreuten Sachen hinweg und ging in die Küche. Dort stand er im Dämmerlicht vor dem mannshohen Kühlschrank und zögerte kurz, bevor er den ellenlangen Griff packte. Die Tür öffnete sich mit einem einladenden saugenden Geräusch, fast wie ein Kuss. Das verschachtelte Innere war raffiniert beleuchtet, wie gläserne Wolkenkratzer bei Nacht, und bot zahlreiche Anreize. Zwischen einem Radicchio und einem Glas mit Melissas selbstgemachter Marmelade standen in einer weißen, mit Alufolie abgedeckten Schale die Reste des Hühnchencurrys. Im Gefrierfach lockte ein halber Liter dunkles Schokoladeneis, das schon mal antauen konnte, während er mit dem anderen anfing. Er nahm einen Löffel aus der Schublade (der reichte für beide Gänge), und als er sich an den Tisch setzte und die Folie entfernte, war er beinahe schon wiederhergestellt.
      

Teil drei
      

    2009
      

    Es überraschte niemanden, dass Michael Beard als Einzelkind aufgewachsen war; er selbst wäre der Erste, der zugegeben hätte, dass geschwisterliche Gefühle ihm eher fremd waren. Seine Mutter, Angela, eine kantige Schönheit, liebte ihn abgöttisch, und ihre Liebe äußerte sich darin, dass sie ihn fütterte. Mit Leidenschaft gab sie ihm das Fläschchen, öfter, als er danach verlangte. Vier Jahrzehnte bevor ihm der Nobelpreis für Physik verliehen wurde, gewann er den Baby Wettbewerb von Cold Norton und Umgebung in der Kategorie null bis sechs Monate. In jenen harten Nachkriegsjahren galten Säuglinge als schön, wenn sie fett waren und ein Doppelkinn wie Churchill hatten; alles träumte vom Ende der Lebensmittelrationierung und von der verheißenen Zeit des Überflusses. Babys wurden zur Schau gestellt und begutachtet wie Kürbisse. 1947 lief der vier Monate alte, feiste und fidele Michael allen anderen den Rang ab.
    Ungewöhnlich war allerdings, dass eine Frau aus der Mittelschicht, die Gattin eines Börsenmaklers, den Cake-and-Chutney-Stand auf dem Dorffest im Stich ließ, um ihr Kind zu einer so frivolen Veranstaltung anzumelden. Sie musste sich des Sieges sicher gewesen sein - genau wie sie später behauptete, schon immer gewusst zu haben, dass er ein Stipendium für Oxford bekommen würde. Kaum aber konnte Michael feste Nahrung zu sich nehmen, kochte sie für ihn bis ans Ende ihres Lebens mit der gleichen Hingabe, mit der sie ihm das Fläschchen gegeben hatte, und Mitte der sechziger Jahre nahm sie trotz ihrer Krankheit noch an einem Cordonbleu-Kochkurs teil, um ihm bei seinen gelegentlichen Besuchen immer etwas Neues vorsetzen zu können. Ihr Mann, Henry, der Knoblauch und den Geruch von Olivenöl unausstehlich fand, aß lieber gutbürgerlich. Aus Gründen, die nie bekannt wurden, entzog sie ihm schon in den ersten Ehejahren ihre Liebe. Sie lebte nur für ihren Sohn, und das war ihr Vermächtnis: ein fetter Mann, der sich rastlos nach schönen Frauen verzehrte, die gut kochen konnten.
    Henry Beard war ein hagerer Mensch mit hängendem Schnauzbart und geschniegeltem braunem Haar; seine dunklen Anzüge und braunen Tweedjacken schienen immer ein Stück zu groß, besonders am Hals. Er sorgte zuverlässig für seine kleine Familie, wobei er, wie

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