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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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führte ihn täglich am Eingang des Colleges vorbei, das von dem verdorbenen Mädchen besucht wurde. Eines Morgens spazierte er spontan hinein und ließ sich vom Pförtner bestätigen, dass es tatsächlich eine Studentin namens Maisie Farmer gab. Noch in derselben Woche fand er heraus, dass sie im dritten Jahr Englisch studierte, aber das schreckte ihn nicht. Ein paar Tage lang ging sie ihm nicht aus dem Kopf, dann lenkten seine Arbeit und allerlei anderes ihn ab, und er vergaß sie wieder. Erst Ende Oktober wurde er ihr von einem Freund vor dem Naturkundemuseum vorgestellt, ihr und einem anderen Mädchen.
    Sie entsprach überhaupt nicht seinen Vorstellungen anfangs war er enttäuscht. Sie war klein, fast zierlich, äußerst hübsch und hatte dunkle Augen, feine Augenbrauen und eine melodische Stimme mit einem überraschenden Akzent, einem Hauch von Cockney, was damals bei Studentinnen ungewöhnlich war. Sie fragte ihn nach seinem Studienfach, und als er es ihr sagte, erlosch bei ihr sofort und sichtlich jegliches Interesse; wenig später ging sie mit ihrer Freundin weiter. Zwei Tage danach traf er sie, als sie allein unterwegs war, und lud sie auf einen Drink ein, was sie ihm rundweg abschlug, noch ehe er seinen Satz beendet hatte. Es zeugte von Beards Selbstvertrauen, dass ihn das überraschte. Aber was sah sie denn auch vor sich? Einen stämmigen Burschen, ernst und korrekt wie ein Buchhalter, eine Krawatte um den Hals (1967!), die Haare kurz, mit Seitenscheitel und - das Allerletzte - einen Kugelschreiber in der Brusttasche seines Jacketts. Zu allem Übel studierte er Naturwissenschaften, etwas für Langeweiler. Sie verabschiedete sich höflich und ging ihrer Wege, doch Beard folgte ihr und fragte, ob sie am nächsten Tag Zeit für ihn habe, oder am übernächsten Tag, oder am Wochenende. Nein, nein und nochmals nein. Doch er strahlte nur: »Wie wäre es mit überhaupt jemals?« Sie musste lachen, amüsiert von seiner Hartnäckigkeit, und schien kurz davor, es sich anders zu überlegen. Sagte dann aber: »Da wäre noch niemals. Passt es Ihnen überhaupt niemals?« Und er darauf: »Da hab ich keine Zeit.« Wieder lachte sie, gab ihm mit ihrer Kinderfaust einen Knuff ans Revers und schritt davon; er aber hatte das Gefühl, noch sei nichts verloren, sie habe Sinn für Humor, er werde sie schon noch erobern.
    Und das tat er. Er forschte sie aus. Jemand erzählte ihm, sie interessiere sich besonders für John Milton. Herauszufinden, in welches Jahrhundert dieser Mann gehörte, war nicht schwer. Ein Kommilitone, der im dritten Jahr Literatur studierte und ihm einen Gefallen schuldete - Beard hatte ihm Karten für ein Cream-Konzert besorgt -, gab ihm eine Stunde über Milton, was man lesen und was man von ihm halten sollte. Er las Comus und staunte, wie albern das war. Er las Lycidas, Samson Agonistes und 77 Penseroso, was ihm stellenweise ziemlich gespreizt und spröde vorkam. Besser erging es ihm mit dem Verlorenen Paradies, und wie so viele vor ihm fand er Satan sympathischer als Gott. Beard lernte Stellen auswendig, die ihm intelligent und besonders wohlklingend erschienen. Er las eine Biographie und vier Essays, die man ihm als maßgeblich empfohlen hatte. Die Lektüre kostete ihn eine ganze Woche. Als er sich beiläufig nach einer Erstausgabe vom Verlorenen Paradies erkundigte, warf ihn der Inhaber eines Antiquariats an der Turl Street beinahe aus dem Laden. Er machte einen freundlichen Tutor ausfindig, der sich mit alten Büchern auskannte, vertraute ihm an, er wolle ein Mädchen mit einer ganz besonderen Art von Geschenk beeindrucken, suchte auf dessen Empfehlung eine Buchhandlung in Covent Garden auf und erwarb eine Ausgabe der Areopagitica aus dem achtzehnten Jahrhundert, die ihn sein halbes Semestergeld kostete. Beim Querlesen im Zug zurück nach Oxford brach ihm eine Seite entzwei. Er reparierte sie mit Klebeband.
    Natürlich traf er sie dann wieder einmal rein zufällig, diesmal am Eingang ihres Colleges, nachdem er dort zweieinhalb Stunden gewartet hatte. Er fragte, ob er sie wenigstens durch den Park begleiten dürfe. Sie sagte nicht nein. Sie trug einen Militärmantel, darunter eine gelbe Strickjacke, einen schwarzen Faltenrock und Lackschuhe mit seltsamen Silberschnallen. Sie war noch schöner, als er gedacht hatte. Höflich erkundigte er sich, womit sie sich gerade beschäftige, und sie erklärte ihm wie einem Dorftrottel, sie schreibe eine Arbeit über Milton, einen berühmten englischen Dichter aus

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