Solar
Während sie miteinander rangen und ihre seidige Haut glitschig und ihre Schreie an seinem linken Ohr heftiger wurden, fiel es ihm immer schwerer, sich gehenzulassen, er war abgelenkt und machte sich Sorgen. Hätte sie ihn bloß nicht wieder an ihre Schwangerschaft erinnert. Nach unzähligen Minuten näherte sich der Augenblick, da er sich nach sexueller Etikette auf die kreischende Schussfahrt zu ihrem letzten Orgasmus einzustellen hatte, doch er spürte, diesmal würde er es wahrscheinlich nicht schaffen. Also betrat er in diesen letzten Sekunden ein vertrautes leeres Theater, setzte sich in die erste Reihe und ließ ein paar Frauen, die er kannte, auf der Bühne vorspielen; blitzschnell einander abwechselnd, experimentierten sie in verschiedenen Szenen, die wie durch Zauberhand alle ihn selbst zum Mittelpunkt hatten. Das Mädchen aus Mailand, die iranische Biophysikerin, die altbewährte Patrice: Er ließ sie alle wieder abtreten, bis er endlich die Richtige gefunden hatte, die Beamtin am Flughafen mit dem verkümmerten Arm. Er ließ sie cool hinter ihrem Schalter hervorkommen, und schon fickten sie im Stehen vor fünfhundert gelangweilten Passagieren, die mit gezückten Pässen in der Warteschlange standen. Die Vorstellung von Sex in der Öffentlichkeit vor gleichgültigen Zuschauern hatte für Beard einen unerklärlichen Reiz und wirkte auch jetzt. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig.
Als er von dieser Eskapade in Melissas Bett zurückfand, bedeckte sie gerade sein Gesicht mit Küssen und sagte: »Danke, mein Liebster. Ich liebe dich. Michael, ich liebe dich. Du lieber, guter Mann.«
Er dachte, es sei ein Polizeihubschrauber, der ein paar Straßen weiter lärmend über den Dächern schwebte, doch während er vollständig zu Bewusstsein kam, verzog sich der Lärm gen Norden, und man hörte nur noch das dunkle Kläffen eines Hundes in der Nachbarschaft. Seine Finger hatten sich in Melissas Haare gewühlt, ihr rechtes Bein lag auf seinem. Er wand sich heraus und blieb liegen, während sie im Schlaf leise vor sich hin quengelte. Als sie wieder ruhig war, glitt er unter der Decke hervor. Schlafzimmer in der Stadt waren nie besonders dunkel, er gelangte rasch zur Tür und ging nackt durch den Flur ins Bad.
Der auch nachts immer beheizte schwarze Schieferboden fühlte sich gut an unter seinen kalten weißen Füßen. Zum Teufel mit dem Planeten. Er dachte daran, dass der Raum mit mehreren Spiegeln ausgestattet war - einer bedeckte eine ganze Wand -, und dimmte lieber das Licht, bevor er sich übers Waschbecken beugte und aus dem Hahn trank. Dann urinierte er, klappte hinterher Brille und Holzdeckel über die Schüssel. Bevor er sich setzte, zog er den scharlachroten Morgenmantel an, den sie ihm vor drei Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte, und knotete den Gürtel zu.
Manchmal fand er nach einem Orgasmus keinen Schlaf. Im Wohnzimmer hätte er es bequemer, aber wenn er dort hinginge, käme das einer Kapitulation vor seiner Schlaflosigkeit gleich, vor dem nächsten Tag, dem nächsten Unterkapitel seines Daseins. Er hatte schlechte Laune. Er suchte Vergessen, das Bad war ein Zwischenreich, ein Vorzimmer zum Schlaf. Ihm war nicht klar, warum er sich so mies fühlte. Er machte eine Strichliste, was er am Tag zuvor getrunken hatte - nicht mehr als sonst -, begann die üblichen Vorsätze zu formulieren, ließ es dann aber, weil er wusste, er war der Spätvormittagsversion seiner selbst nicht gewachsen; jenem Michael Beard zum Beispiel, der am helllichten Tag, auf dem Rückflug von Berlin, sich in der sonnendurchfluteten Kabine zurücklehnte, einen Gin Tonic in der Hand. Was hatte er im Flugzeug gelesen? Was sonst konnte einem vernunftbegabten Mann so nachgehen? Drei Forschungsberichte hintereinander. Erstens eine vorläufige Kalkulation von Insidern aus der Ölindustrie, wonach die Ölproduktion innerhalb der nächsten fünf bis acht Jahre ihren Zenit erreichte. Nur noch so wenig Zeit, einen anderen Kurs einzuschlagen. Zweitens ein Paper, das im Herbst veröffentlicht werden sollte; Fazit: Ein Viertel aller Säugetiere des Planeten war bedroht, ein Massensterben längst in Gang. Drittens eine wissenschaftliche Analyse zahlloser Daten zum arktischen Sommereis, das bis zum Jahr 2045 verschwunden sein würde.
Hatte es ihn bedrückt, von diesen menschgemachten Katastrophen zu lesen? Kein bisschen. Er war mit sich im Reinen; stirnrunzelnd in seine Arbeit vertieft, hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ans Mittagessen
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