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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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damals üblich, die Liebe zu seinem Sohn durch Strenge und wenig körperlichen Kontakt zum Ausdruck brachte. Nie nahm er Michael in den Arm, nur selten legte er ihm liebevoll die Hand auf die Schulter, doch stets brachte er ihm die richtigen Geschenke mit - Metall- und Chemiebaukästen, ein Radio zum Selberbasteln, Enzyklopädien, Modellflugzeuge und Bücher über Militärgeschichte, Geologie und das Leben bedeutender Männer. Er hatte lange im Krieg gedient, als Leutnant der Infanterie in Dünkirchen, Nordafrika und Sizilien, hatte schließlich als Oberleutnant an der Landung in der Normandie teilgenommen, wofür ihm ein Orden verliehen worden war. Die nächsten Stationen waren das Konzentrations lager Bergen-Belsen, wo er eine Woche nach der Befreiung eintraf, und dann nach Kriegsende acht Monate Berlin. Wie viele Männer seiner Generation sprach er nie von seinen Erlebnissen und genoss die Normalität des Nachkriegslebens, den friedlichen Alltag, die Ordnung, den zunehmenden Wohlstand und vor allem den Mangel an Gefahr - all das, was die in den ersten Friedensjahren Geborenen später als erdrückend empfanden.
    1952, mit vierzig, als Michael fünf Jahre alt war, gab Henry Beard seine Stelle bei einer Londoner Handelsbank auf und kehrte zu seiner ersten Liebe zurück, der Juristerei. Er wurde Sozius einer alteingesessenen Kanzlei im nahe gelegenen Chelmsford und arbeitete dort bis zu seinem Ruhestand. Zur Feier dieses bedeutsamen Neuanfangs und da das Pendeln in die Liverpool Street damit ein Ende hatte, kaufte er sich einen gebrauchten, hellblauen Rolls-Royce Silver Cloud, der dreiunddreißig Jahre lang zu ihm hielt, bis zu seinem Tod. Erst als Erwachsener - und mit entsprechend schlechtem Gewissen - wusste sein Sohn diese großspurige Geste zu würdigen. Ansonsten war das Leben in einer Kleinstadt als Anwalt, der vornehmlich mit Übertragungsurkunden und Testamentsabschriften zu tun hatte, mehr als beschaulich. An den Wochenenden kümmerte Henry Beard sich zumeist um seine Rosen oder sein Auto, oder er spielte Golf mit seinen Bekannten aus dem Rotarierklub. Seine lieblose Ehe akzeptierte er gleichmütig als den Preis, den er für seine sonstigen Annehmlichkeiten zu zahlen hatte.
    Etwa um diese Zeit fing Angela Beard an, Affären zu haben, elf Jahre lang. Der junge Michael erlebte keine offenen Feindseligkeiten oder stummen Spannungen im Haus, allerdings war er auch weder besonders aufmerksam noch sensibel; er vergrub sich nach der Schule meistens in seinem Zimmer, wo er bastelte und experimentierte oder las und wo er sich später voll und ganz auf Pornographie und Masturbation und noch später auf Mädchen verlegte. So fiel ihm mit siebzehn auch nicht weiter auf, dass seine Mutter sich erschöpft in ihre Ehe zurückgeflüchtet hatte. Von ihren Eskapaden erzählte sie ihm erst, als sie mit Anfang fünfzig tödlich an Brustkrebs erkrankte. Sie schien ihn wie um Vergebung dafür zu bitten, dass sie seine Kindheit ruiniert hatte. Er aber stand mittlerweile kurz vor dem Ende seines zweiten Jahrs in Oxford und hatte nur Mathe und Freundinnen, Physik und Trinkgelage im Kopf, so dass er zunächst gar nicht begriff, was sie ihm da erzählte. Sie lag auf Kissen gestützt in einem Privatzimmer im neunzehnten Stock eines Krankenhauses mit Aussicht auf die industrialisierten Salzsümpfe von Canvey Island und das Südufer der Themse. Er war alt genug zu wissen, dass es sie kränken würde, wenn er sagte, er habe von all dem nichts mitbekommen. Oder dass sie den Falschen um Entschuldigung bitte. Oder dass es ihm unvorstellbar sei, wie man mit über dreißig noch Sex haben könne. Er hielt ihre Hand, drückte sie zum Zeichen seiner Zuneigung und sagte, es gebe nichts zu verzeihen.
    Dann fuhr er zu seinem Vater nach Hause, trank mit ihm drei Whiskys vor dem Schlafengehen, ging in sein ehemaliges Kinderzimmer, legte sich vollständig bekleidet aufs Bett und dachte darüber nach, was sie ihm erzählt hatte, und da erst wurde ihm das Ausmaß ihrer Leistung klar. Siebzehn Liebhaber in elf Jahren. Oberleutnant Beard hatte mit dreiunddreißig schon mehr als genug an Aufregung und Gefahr erlebt. Angela noch lange nicht. Ihre Liebhaber waren ihr Wüstenfeldzug gegen Rommel, ihre Landung in der Normandie und ihr Berlin. Ohne diese Männer, hatte sie Michael im Krankenhausbett erklärt, hätte sie sich selbst verachtet und wäre verrückt geworden. Doch dafür, was sie ihrem einzigen Kind angetan zu haben glaubte, verachtete sie sich

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