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Solaris

Solaris

Titel: Solaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Schnee erstarren ließ. Lauter weiße Flocken kreisten über dem Körper, der in den Bademantel gewickelt schwach auf dem Fußboden zappelte. Sie war kaum zu sehen, in diesem Eisgewölk, ich stürzte zu ihr, faßte sie um die Mitte, der Mantel brannte mir die Hände, sie röchelte, ich lief in den Korridor, an Reihen von Türen vorbei, ich spürte keinen Frost mehr, nur der Atem, der ihr in Nebelwölkchen aus dem Mund drang, brannte mich wie Feuer am Schulterblatt.
    Ich legte sie auf den Tisch, riß über den Brüsten den Mantel auf, schaute eine Sekunde lang in das verharschte, bebende Gesicht, Blut gefror ihr am offenen Mund, bedeckte die Lippen mit schwarzem Salz, auf der Zunge glitzerten Eiskristalle…
    Flüssigsauerstoff. In dem Arbeitsraum war Flüssigsauerstoff, in Dewar-Gefäßen, ich hatte sprödes Glas zertreten, das hatte ich gespürt, als ich sie aufgehoben hatte. Wieviel konnte sie getrunken haben? Gleichviel. Luftröhre, Kehle, Lungen, alles verbrannt, Flüssigsauerstoff ätzt stärker als konzentrierte Säuren. Der Atem, knirschend, trocken wie das Geräusch beim Zerreißen von Papier, verflachte sich. Sie hatte die Augen zu. Agonie.
    Ich blickte auf die großen Glasschränke mit Instrumenten und Arzneien. -Luftröhrenschnitt? Intubation? Aber die Lungen sind ja schon weg! Verbrannt. Arzneien? So viele Arzneien! Reihen bunter Flaschen und Schächtelchen füllten die Fächer. Das Röcheln füllte den ganzen Saal, immer noch stieg ihr der Nebel aus dem offenen Mund. Thermophore….
    Ich begann danach zu suchen, aber ehe ich welche fand, lief ich zum anderen Schrank, warf mit Ampullenschächtelchen herum, jetzt eine Spritze, wo, in den Sterilisatoren, mit den steifgefrorenen Händen konnte ich die Spritze nicht zusammenkriegen, die Finger waren starr und wollten sich nicht abbiegen. Ich begann die Hand wie rasend gegen den Sterilisatordeckel zu dreschen, aber ich spürte nichts davon, die einzige Reaktion war ein schwaches Kribbeln. Die Liegende röchelte lauter. Ich lief zu ihr. Sie hatte die Augen offen.
    -    Harey!
    Das war nicht einmal geflüstert. Ich brachte keinen Ton hervor. Ich hatte ein fremdes Gesicht, wie aus Gips, das mich behinderte. Unter ihrer weißen Haut jagten ihr die Rippen. Das Haar, feucht von schmelzendem Schnee, flutete über das Kopfkissen. Sie schaute mich an.
    -    Harey!
    Mehr konnte ich nicht sagen. Ich stand da wie ein Klotz, mit diesen fremden hölzernen Händen, immer stärker begannen mich Füße, Lippen und Lider zu brennen, aber ich fühlte das kaum, die Wange hinab rann ihr ein Tropfen Blut, der sich im Warmen verflüssigte, einen schrägen Strich ziehend. Die Zunge zuckte ihr und verschwand, sie aber röchelte immer noch.
    Ich faßte ihr Handgelenk, es war ohne Puls, ich zog die Mantelschöße auseinander und legte knapp unter der Brust das Ohr an den beklemmend kalten Körper. Durch knatterndes Rauschen wie von einem Brand hörte ich es pochen, galoppierende Töne, zu schnell, als daß sie sich hätten zählen lassen. Ich stand tief hin abgeneigt, mit geschlossenen Augen, da berührte mich etwas am Kopf. Sie schob mir die Finger ins Haar. Ich schaute ihr in die Augen.
    -    Kris - röchelte sie. Ich ergriff ihre Hand, die Antwort war ein Druck, der mir fast den Handteller zerquetschte, das Bewußtsein entfloh aus dem gräßlich verzerrten Gesicht, das Augenweiß blitzte zwischen den Lidern, im Hals schnarrte es, und den ganzen Körper rüttelten Brechkrämpfe. Sie hing über den Tischrand, ich konnte sie kaum festhalten. Sie polterte mit dem Kopf gegen den Rand des Porzellantrichters. Ich stützte sie und preßte sie gegen den Tisch, bei jeder neuen Zuckung riß sie sich los, blitzschnell überströmte mich der Schweiß, und die Beine wurden mir wie aus Watte. Als die Brechkrämpfe schwächer wurden, versuchte ich den Körper hinzulegen. Sie krähte beim Luftschnappen. Plötzlich leuchteten in diesem furchtbaren, blutigen Gesicht Hareys Augen auf.
    -    Kris - krächzte sie - … wie lange noch, Kris?
    Sie begann zu würgen, Schaum trat ihr vor den Mund, die Brechkrämpfe beutelten sie wieder. Ich hielt sie mit letzten Kräften. Sie fiel auf den Rücken, daß die Zähne aneinanderklirrten, und keuchte.
    -    Nein, nein, nein - stieß sie rasch bei jedem Atemzug hervor, und jeder schien der letzte zu sein. Aber die Brechkrämpfe kehrten nochmals wieder, und neuerlich zappelte sie in meinen Armen, und in den kurzen Pausen rang sie nach Atem mit solcher

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