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Solaris

Solaris

Titel: Solaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Anstrengung, daß ihr alle Rippen hervortraten. Endlich schoben sich ihr die Lider halb vor die offenen, blinden Augen. Sie erstarrte. Ich dachte: Aus. Ich versuchte ihr nicht einmal den rosigen Schaum vom Mund zu wischen, ich stand über sie gebeugt und hörte eine ferne große Glocke läuten und wartete auf den letzten Atemzug, um danach auf den Fußboden hinzufallen, sie aber atmete immerfort, fast nicht röchelnd, immer leiser, und die
    Brustspitze, die schon fast gänzlich zu zittern aufgehört hatte, bewegte sich im schnellen Rhythmus des arbeitenden Herzens. Ich stand gebückt, und ihr wurde allmählich das Gesicht rosiger. Ich begriff noch nichts. Nur die Innenflächen beider Hände wurden mir feucht, und ich meinte taub zu werden, etwas Weiches, Elastisches schien mir die Ohren auszufüllen, doch immerfort hörte ich noch dieses Glockenläuten, jetzt dumpf, wie mit einem Sprung im Klöppel.
    Sie hob die Lider, und unsere Blicke begegneten einander.
    -    Harey - wollte ich sagen, aber mir blieb gleichsam der Mund weg, das Gesicht war eine tote, schwere Maske, und ich konnte nur schauen.
    Hareys Augen überflogen das Zimmer, ihr Kopf bewegte sich. Es war ganz still. Hinter mir in irgendeiner anderen fremden Welt tropfte gleichmäßig das Wasser aus dem schlecht zugedrehten Hahn. Harey richtete sich auf den Ellbogen auf. Setzte sich auf. Ich wich zurück. Sie beobachtete mich.
    -    Was - sagte sie - was…? Ist es… nicht gelungen? Warum…? Warum schaust du so…?
    Und plötzlich, in einem furchtbaren Schrei:
    -    Warum schaust du so!!!
    Es wurde still. Sie besah ihre    Hände.    Bewegte    die    Finger.
    -    Das bin ich…? - sagte sie.
    -    Harey - ich sprach es ohne einen    Hauch    aus,    nur    mit den Lippen. Sie hob den Kopf.
    -    Harey…? - sagte sie nach. Sie senkte langsam die Füße auf den Boden, sie stand. Sie schwankte, fand das Gleichgewicht wieder, machte ein paar Schritte. Das alles tat sie in einer Art von Benommenheit, schaute auf mich und schien mich nicht zu sehen.
    -    Harey?- wiederholte sie langsam noch einmal. - Aber… ich bin nicht Harey. Aber… wer bin ich? … Harey? Und du, du?!
    Plötzlich weiteten sich ihre Augen und funkelten auf, und eine Spur von einem Lächeln, von äußerstem Erstaunen, hellte ihr Gesicht auf.
    -    Vielleicht du auch? Kris! Vielleicht du auch?!
    Ich schwieg, mit dem Rücken gegen den Schrank gelehnt, dort, wo der Schreck mich hingedrängt hatte.
    Ihr sanken die Hände.
    -    Nein - sagte sie. - Nein, denn du fürchtest dich. Aber hör mal, ich kann ja nicht. So geht das nicht. Ich habe nichts gewußt. Ich verstehe jetzt auch nichts, noch immer nicht.. Das ist doch wohl nicht möglich? Ich - sie drückte die zusammengekrampften, erblaßten Hände gegen die Brust - ich weiß nichts, nichts als Harey! Du denkst vielleicht, ich verstelle mich? Ich verstelle mich nicht, auf mein heiliges Wort, ich verstelle mich nicht.
    Die letzten Worte gingen in ein Stöhnen über. Sie fiel zu Boden und schluchzte, dieser Schrei zerbrach gleichsam etwas in mir, mit einem Satz sprang ich auf sie zu, packte sie bei den Schultern, sie wehrte sich, sie stieß mich weg und schluchzte ohne Tränen und schrie:
    -    Laß los! Laß los! Du ekelst dich! Ich weiß! Ich will das nicht so! Ich will nicht! Du siehst ja, du siehst selbst, das bin nicht ich, nicht ich, nicht ich…
    -    Schweig! - schrie ich und schüttelte sie, wir knieten voreinander, und beide schrien wir besinnungslos, Hareys Kopf sauste hin und her und schlug gegen meine Schulter, mit aller Kraft drückte ich Harey an mich. Wir hielten plötzlich inne, schwer keuchend. Regelmäßig tropfte das Wasser aus dem Hahn.
    -    Kris … - lallte sie und preßte das Gesicht an meine Schulter - sag doch, was ich tun soll, damit ich weg bin, Kris…
    -    Hör auf! - schrie ich. Harey hob den Kopf. Sah mich fest an.
    -    Wie…? Du weißt es auch nicht? Da hilft nichts? Nichts?
    -    Harey… erb arm dich…
    -    Ich wollte ja… du hast es ja gesehen. Nein. Nein. Laß los, ich will nicht, daß du mich anfaßt! Du ekelst dich.
    -    Gar nicht wahr!
    -    Du lügst. Du mußt dich ekeln. Ich… ich selbst… auch. Wenn ich könnte. Wenn ich nur könnte…
    -    Dann brächtest du dich um.
    -    Ja.
    -    Aber ich will nicht, verstehst du? Ich will nicht, daß du dich umbringst. Ich will, du sollst hier sein, mit mir, und sonst

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