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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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es hinauszuzögern; wenn ich mich geschickt anstellte, konnte ich ihn lange genug aufhalten, um Mekka zu retten, und damit meinen Sohn. Vielleicht. Aber mich selber würde ich nicht retten können.
    Im kalten, gleichgültigen Licht der Sterne, die uns umgaben, glänzte die Klinge eines Messers.

KAPITEL 35
    Ich wich zurück, und Khalid setzte mir nach, mit heftigen, watenden Bewegungen. Immer wieder stieß er mit dem Messer zu, und ich zuckte jedesmal unwillkürlich zurück in der Erwartung der tödlichen Berührung. Jedesmal blieb sie aus, und jedesmal floh ich weiter, hangelte mich von Strebe zu Strebe. In meinem rechten Arm pochte dumpfer Schmerz, und mein Zeigefinger schien abgestorben zu sein, doch ich versuchte, mich davon nicht bremsen zu lassen. Vor meinem inneren Auge flammte nur die Vision meines nahen Endes, das unweigerlich eintreten würde, sobald Khalid mit seinem Messer irgendeine Stelle meines Raumanzuges aufschlitzte.
    Ein Raumanzug ist nichts anderes als ein kompliziert geformter, komfortabel ausgestatteter Luftballon – ein Riß, und die Luft würde entweichen und mein Tod nur eine Frage von wenigen Augenblicken sein. Ich würde nicht ersticken, nein. Ich würde nicht lange genug leben, um zu ersticken, weil mich der Druckverlust schon vorher umbringen würde.
    Ohne den atmosphärischen Druck würde das Blut in meinen Adern zu kochen beginnen, würden meine Augäpfel platzen, meine Lungen sich mit kochendem, sprudelndem Blut füllen – der einzige Trost war, daß mich zu diesem Zeitpunkt längst ein abrupter Gehirnschlag getötet haben würde.
    Wahrend ich floh, galt mein verzweifelter Blick der Erde. Wir waren noch nicht weit genug gekommen, näherten uns noch dem Roten Meer, Mekka war noch nicht einmal in Sicht. Mindestens noch fünf Minuten mußte ich durchhalten, und diese letzten fünf Minuten meines Lebens, das erkannte ich jetzt atemlos, würden zugleich die längsten fünf Minuten meines Lebens werden.
    Ich versuchte, Khalid von der Plattform wegzulocken, aber er schnitt mir den Weg ab. Urplötzlich war er heran und über mir und führte einen gewaltigen Hieb mit dem Messer gegen meinen Helm. Doch auch über die Helme japanischer Raumanzüge läßt sich nur Bestes berichten: das Messer glitt ab und ließ nichts zurück außer einer breiten Schramme, in der sich das Licht der gleichgültig zuschauenden Sterne brach.
    Es gelang mir wegzutauchen, und der nächste Schlag traf nur eine Strebe. Auch das Messer war bedauerlicherweise von vorbildlicher Qualität; es brach nicht. Ich ging hinter einem Versteifungsblech in Deckung, keuchend, und beobachtete Khalid, der wieder näher kam. Die Zeit hätte eigentlich auf meiner Seite sein sollen, aber sie schien sich mit meinem Gegner verbündet zu haben, denn die Sekunden vergingen unendlich zäh und langsam. Ich wartete, bis ich an seiner Bewegungsrichtung sah, auf welcher Seite er mit meinem Ausfall rechnete, und stieß mich dann schwungvoll zur anderen Seite hin ab.
    Ein Schlag aus dem Nichts bremste mich jäh ab. Ich mußte gegen ein sehr dünnes, in der Dunkelheit nahezu unsichtbares Hindernis geprallt sein – ein Spannseil oder dergleichen – und taumelte einen Moment hilflos umher, ehe ich einen Halt fand. Aber da war Khalid schon heran, das blitzende Messer hoch erhoben, und ich erblickte mit ungläubigem, atemlosen Staunen mein eigenes kleines Spiegelbild in seinem dunklen Helmvisier.
    In einer reflexhaften Abwehrbewegung zog ich meine Beine an und stemmte sie gegen seine Brust, was völlig unvernünftig war: denn ob er mir den Raumanzug am Unterschenkel aufschlitzte oder an der Brust, war im Endeffekt einerlei. Ich starrte nur diese gesichtslose Gestalt im Raumanzug an, hielt den Atem an – was genauso unvernünftig war – und wußte, daß mich nur noch eine winzige Bewegung seiner Klinge von meinem Tod trennte.
    Aber Khalid schien sich dessen nicht bewußt zu sein. Entweder waren ihm die physikalischen Zusammenhänge des Aufenthalts im freien Weltraum grundsätzlich nicht ganz geläufig – was ich mir nicht vorstellen konnte –, oder er war so von wilder, ungestümer Wut erfüllt, daß diese Wut über alles angelernte Wissen hinweg sein Handeln bestimmte. Jedenfalls war er versessen darauf, mir sein Messer direkt ins Herz oder in die Kehle zu rammen, als käme es darauf an. Und so rangen wir miteinander, aber diesmal war es nur ein pures Kräftemessen auf Leben und Tod. Ich hielt seine Messerhand umklammert und drückte mit aller

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