Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
und Sie können mich nicht aufhalten…«
    Er glitt von Halt zu Halt, den Revolver schußbereit.
    »Ich weiß, warum Sie heraufgekommen sind, Leonard. Ich weiß, daß Sie mich durchschaut haben, aber ich habe Sie auch durchschaut. Es ist wegen Ihres Sohnes. Es geht Ihnen nicht um die Solarstation und auch nicht um den Heiligen Krieg, es geht Ihnen nur um Ihren Sohn, nicht wahr?«
    Ja, Khalid. Und das ist Grund genug.
    »Es ist, als wüßte man jemanden in Hiroshima oder Nagasaki, fünf Minuten bevor die Bomben fallen. Sie denken, Sie können es verhindern, Leonard – aber das können Sie nicht.«
    Durch die milchig beschlagene Scheibe sah ich das dunkle Glas seines Helms, in dem sich die Sterne und die metallisch graue Solarfläche spiegelten. An jedem Schaltschrank, an jedem Transformator hielt er inne, sicherte, war bereit, auf alles zu schießen, was sich bewegte.
    Was er erwartet hatte, war ein Mensch in einem weißen Raumanzug, der versuchte, ihn zu überrumpeln. Was er nicht erwartet hatte, war, daß plötzlich die ganze riesige stählerne Schüssel des Energiesenders herumzuckte, unglaublich schnell und gewaltig, und einer der klobigen Motoren der kardanischen Aufhängung traf ihn vor der Brust mit solcher Wucht, daß der ganze Turm zu zittern schien. Khalid wurde zurückgeschleudert, und der Revolver entglitt seiner Hand, schwebte torkelnd und sich überschlagend durch den freien Raum, driftete so langsam auf den Rand der Plattform zu, daß man dabei zusehen konnte.
    Nicht nur zusehen. Ich verließ hastig meinen Platz an der Handsteuerung, über die ich vorhin fast gestolpert war und die ich gerade gegen Khalid eingesetzt hatte. Keuchend hangelte ich mich von Halt zu Halt, von Strebe zu Leitung, auf die dunkel glitzernde Waffe zu, die verlockend wie ein Irrlicht im All taumelte, vor dem unglaublichen Hintergrund der heraufziehenden ostafrikanischen Küste. Ich mußte diesen Revolver einfangen, ehe er ins Nichts entglitt, ich mußte, mußte, mußte…
    Khalids unartikulierte Schreie gellten in meinem Kopfhörer, während ich mich vorwärtsarbeitete, auf das dahintreibende Stück Metall zu, das immer nur um Haaresbreite vor meinen gierig greifenden Handschuhfingern herzutanzen schien. Es lockte, wirbelte, und ich berührte es einmal leicht, worauf es keck zurücksprang und seine Drehrichtung änderte. Verzweifelt streckte ich die rechte Hand nach einem neuen Halt aus, immer noch mit zusammengebissenen Zähnen, zog mich näher heran, doch da war das düstere Ding schon wieder ein Stück weiter weg, wieder um eine winzige Spanne außerhalb meiner Reichweite. Ich glaubte wahnsinnig zu werden. Leben und Tod hingen davon ab, daß ich an diese Waffe kam, Leben und Tod von Millionen, Leben und Tod meines
    Sohnes, und mein eigenes Leben noch dazu, und ich bekam sie einfach nicht zu fassen.
    Der Schlag traf mich mit der Wucht einer heranrasenden Lokomotive. Im ersten Moment wußte ich nicht, wie mir geschah; ich krallte mich nur aufstöhnend irgendwo fest, während mich dieses gewaltige Gewicht in den Rücken traf und mir die Luft aus den Lungen preßte. Dann begriff ich, daß es Khalid war, der da auf mich losging wie ein wütender Stier. Er hatte mich von hinten angesprungen, umklammerte meinen Brustkorb und hieb mir auf meinen ausgestreckten rechten Arm. Ich zog ihn aufheulend vor Schmerz zurück. Dann sah ich, daß er selber versuchte, nach dem Revolver zu greifen.
    Mit aller verbliebenen Kraft warf ich mich zurück, drehte und wand mich in seinem Klammergriff in dem verzweifelten Bemühen, ihn daran zu hindern, die Waffe zu erreichen. Aber Khalid hatte Bärenkräfte. Er hockte auf mir wie ein böser Dschinn, und seine Arme schienen um das Wenige länger zu sein, das den meinen gefehlt hatte. Ich sah seine Fingerspitzen das schwarze Metall berühren, das schwerelos traumtänzerisch vor uns schwebte. Sein ausgestreckter Zeigefinger berührte den Lauf des Revolvers, und ihm schien die schwebende Waffe nicht ausweichen zu wollen. Ich hörte ihn triumphierend keuchen, als er zugriff…
    In diesem Augenblick ließ ich meinen Halt los und warf mich nach vorne, genau in die entgegengesetzte Richtung, und damit überraschte ich Khalid vollkommen. Seine ausgestreckte Hand schlug gegen den Revolver und stieß ihn damit endgültig hinaus in die unendliche Schwärze. Er gab etwas von sich, von dem ich nur wußte, daß es sich dabei um die unflätigsten arabischen Flüche handelte, wenn ich auch nie gelernt hatte, was sie

Weitere Kostenlose Bücher