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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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ausschalten?«
    »Nein. Wir könnten sie höchstens stören, aber da der Steuerungscomputer kaputt ist…« Er vollendete den Satz nicht.
    »Mit anderen Worten«, mischte sich Moriyama ein, »Khalid sitzt oben auf dem Turm und wird Mekka mit dem Energiestrahl zerstören – und es gibt nichts, was wir dagegen tun können?«
    Tanaka schüttelte den Kopf. »Nichts.«
    Dumpfes Schweigen. Ich sah Tanaka an. Ich sah Moriyama an. Ich sah in die Runde, in lauter betretene, von Niederlage gezeichnete Gesichter. Und meine Wunde brannte wie Feuer, wie ein Schwelbrand, der meine ganze Schulter sich zu verzehren anschickte.
    Nicht schon wieder. Das war alles, was ich denken konnte. Nicht schon wieder. Ich war müde, am Ende meiner Kräfte. Niemand hätte mir einen Vorwurf daraus gemacht, wenn ich einfach aufgegeben hätte. Aber ich wußte, daß es keinen anderen Ausweg gab und daß ich es tun mußte.
    »Doch«, seufzte ich. »Eine Möglichkeit gibt es.«
    Ich zog einen der anderen Raumanzüge aus seinem Behälter und begann, ihn anzulegen.
    »Yoshiko, ich brauche eine schmerzstillende Spritze für meinen Arm. Die stärkste, die du findest.«
    Sie sah mich erschrocken an. »Tut er so weh?«
    »Nein. Aber er wird vielleicht weh tun. Sehr wahrscheinlich sogar.« Er tat sogar jetzt schon weh, während ich mit dem linken Arm in das Oberteil schlüpfte.
    »Leonard-san, du wirst deinen Arm ruinieren, wenn ich dir eine Spritze gebe«, erwiderte Yoshiko besorgt. »Du mußt ihn schonen, ihn ruhigstellen…«
    »Die Spritze, onna! « sagte ich so scharf wie möglich, und es funktionierte. Ein kulturelles Erbe von Jahrhunderten, in denen die japanischen Frauen den Männern widerspruchslos gehorcht hatten, ließ sich eben nicht in wenigen Jahrzehnten abschütteln. Yoshiko öffnete hastig die Notfalltasche, holte eine kleine Fertigspritze heraus, prüfte noch einmal die Aufschrift und injizierte mir dann die hellgelbe Flüssigkeit in den Oberarm. Ich spürte die Wirkung fast sofort.
    »Geben Sie mir bitte den Revolver, Kommandant?« wandte ich mich an Moriyama, während ich in den rechten Ärmel des Raumanzugs schlüpfte und begann, die Verschlüsse zuzumachen.
    »Das hat doch keinen Zweck, Leonard. Es ist zu spät. Ihnen bleiben gerade einmal zwanzig Minuten. «
    »Es muß reichen.«
    »Khalid wird Sie einfach abknallen.«
    »Er wird mich nicht kommen sehen.« Ich streckte verlangend die Hand aus. »Die Waffe, kudasai. «
    Er gab sie mir, widerwillig. Ich befestigte sie mit mehreren langen Leukoplaststreifen aus der Medizintasche an meinem rechten Oberschenkel.
    »Sie sind verletzt«, redete mir Moriyama weiter Mut zu. »Sie sind erschöpft. Sie werden sterben, wenn Sie da rausgehen!«
    »Dann werde ich eben sterben«, sagte ich, setzte den Helm auf und drückte den Knopf, der die Innenluke der Mannschleuse auffahren ließ.

KAPITEL 34
    Ich war selten im Raum draußen gewesen. Mein Job hatte es nicht erfordert, und wenn, dann war es immer auf der hellen Seite gewesen. Als sich die äußere Luke der Schleuse vor mir öffnete, wurde mir bewußt, daß ich noch niemals zuvor auf der dunklen Seite gewesen war.
    Das Panorama, das sich meinen Blicken darbot, war atemberaubend. Unter mir – unwillkürlich und ohne daß ich etwas an dieser Art der Wahrnehmung hätte ändern können, ordnete mein Verstand, mein Auge, dem Anblick Richtungen zu, und die riesige, unermeßlich riesige Solarfläche war unten – unter mir also erstreckte sich die Solarfläche nach allen Seiten, wie eine gewaltige graue gußeiserne Trennwand durch das gesamte Universum, und nur am äußersten Rand, da, wo sie den Erdball zerschnitt, zog sich eine dünne, haarfeine, silberhell leuchtende Linie entlang, wie eine Ahnung von einem Sonnenaufgang, der nie erfolgen würde. Und auch der Erdball war riesig, dunkel und riesig, die Nachthälfte der Erde – unheimlich nahe, bedrückend in ihrer blauschwarzen Dunkelheit, die die Ränder verschwimmen ließ. Ich sah Wasser, träges, schwarzes Wasser, soweit das Auge reichte. Der Indische Ozean. Es war nur noch ein Katzensprung bis zur arabischen Halbinsel, bis Mekka; nur noch Minuten bis zur entscheidenden Schlacht um die Heilige Stadt.
    Ich glitt aus der Schleuse, sah zu, wie sie sich geräuschlos hinter mir schloß, und konnte es kaum fassen, daß mich die riesige bleierne Wüste der Solarfläche nicht zu sich herabziehen wollte. Dann drehte ich mich um und wandte mich dem Turmausleger zu.
    Ich hatte ganz vergessen, wie groß er war.

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