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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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bizarre Bemerkung geht die Gruppe aber nicht mehr ein. Man spricht dann über die Verantwortlichen, aus Kittels Sicht den SD , der folgendermaßen aufgebaut worden sei:
    KITTEL : Der Sicherheitsdienst ist seinerzeit, wie der Himmler seinen Staat im Staat aufmachte, so entstanden: Man hat 50 Prozent der Kriminellen genommen, die politisch nicht belastet waren, und hat zu denen 50 Prozent der Verbrecher getan. Daraus ist der SD entstanden (Gelächter). Da ist einer im Kriminalamt Berlin [...]. Der sagte mir nach ’33: ›Wir sind ja jetzt ausgesiebt. Die politisch belasteten Beamten der Staatspolizei sind ausgeschieden, die sind pensioniert oder in Plätzen untergebracht, wo sie nicht mehr schaden können. Den guten Stand von Kriminellen, den jeder Staat braucht, der ist nun untermischt mit Leuten, die aus der Unterwelt von Berlin stammen, die sich aber rechtzeitig bei der Bewegung bemerkbar gemacht haben. Die sind nun da mit eingesetzt.‹ Der sagte glatt: ›Wir sind 50 Prozent anständige Leute und 50 Prozent Verbrecher.‹
    SCHAEFER : Ich meine, wenn solche Zustände in einem modernen Staat gestattet sind, dann kann man nur sagen, höchste Eisenbahn, dass dieses Sauvolk verschwindet.
    KITTEL : Wir Idioten haben ja diesen Sachen alle zugesehen. [282]
    Damit hat die Gruppe die Schuldigen identifiziert und ihrer Herkunft nach auch zugeordnet: Das semikriminelle Milieu, aus dem der SD sich rekrutiert habe, sei die Ursache für die nun zutage getretenen Probleme. Ob die in der Judenverfolgung selbst oder lediglich in ihrer zu ineffizienten Abwicklung gesehen werden, das bleibt offen. Bemerkenswert erscheint weiterhin, wie schnell die Gruppe vom ostentativen Entsetzen über den Bericht Kittels entspannt zu anderen Themen schwenkt und gleich auch wieder einen ganz fröhlichen Eindruck macht. Mit dem »Sauvolk«, von dem Schaefer spricht, ist jedenfalls der SD gemeint, die Schuld der Wehrmacht ist allenfalls, wie Kittel ergänzt, das Versäumnis, dem Treiben zugesehen und nicht eingegriffen zu haben. Dieses Gesprächsbeispiel ist interessant, weil es die Struktur vieler Gespräche über die Vernichtung geradezu modellhaft repräsentiert: Einer der Sprecher ist in diesen Kommunikationen jeweils der Wissende, der oder die Zuhörer die interessierten Nachfrager, die aber allesamt Vorwissen zur Sache haben. Das Geschehen selbst wird dann oft, keinesfalls immer, negativ kommentiert, wobei die Gründe für die negative Betrachtung, wie im Fall dieser Gruppe, höchst überraschend ausfallen können. Schließlich begibt sich die Gruppe meist auf die Seite der passiven Zuschauer, die zu wenig bemerkt haben, dass sich solche Dinge abspielen.
    Interessant an diesem Gespräch ist übrigens auch, dass es im Rahmen einer anderen Kommunikation wieder auftaucht. Generalmajor Bruhn erzählt ein paar Wochen später in anderem Zusammenhang, was Kittel berichtet hat:
    BRUHN : Dann haben die ihre Gräber geschaufelt, und dann haben sie die Kinder an den Haaren hochgehoben und einfach so abgeknipst. Die SS hat das gemacht. Die Soldaten haben dabeigestanden, und außerdem die russische Zivilbevölkerung hat 200 Meter entfernt gestanden und hat sich das alles angesehen, wie sie die da umgebracht haben. Wie scheußlich das Ganze gewesen ist, das begründet er auch darin, dass ein ausgesprochener SS -Mann, der bei ihm in seinem Stabe tätig war, dann später einen Nervenzusammenbruch bekommen hat und von dem Tag ab nur gesagt hat, das könnte er nicht mehr mitmachen, das wäre unmöglich, ein Arzt. Er käme davon nicht los. Er hat das damals erstmalig erlebt, dass das wirklich gemacht wurde. Wie Schaefer und ich das hörten, da lief es uns kalt über, und da haben wir Kittel gesagt: ›Was haben Sie denn daraufhin gemacht? Sie lagen doch nun im Bett und haben auch das nun gehört, und das war doch nur einige hundert Meter weg von Ihrem Haus. Nun mussten Sie doch Ihrem Kommandierenden General melden. Da musste doch nun irgendetwas geschehen?‹ Da sagte er, das wäre allgemein bekannt gewesen, das wäre ja üblich gewesen. Dann hat er sogar auch Bemerkungen eingeflochten wie: ›Das wäre ja weiter auch nicht schlimm‹, ›denen hätte man ja alles zu verdanken‹, so dass ich damals beinahe angenommen habe, dass ihm persönlich das noch gar nicht mal so viel ausgemacht hat. [283]
    Gespräche solcher Art haben häufig den Charakter des Kindergeburtstagsspiels »Stille Post«, der in vielen klassischen und auch neueren Studien aus der

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