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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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Grube fielen. Die Nachfolgenden zwang man, sich auf die bereits Ermordeten zu legen, bevor man sie ihrerseits erschoss. Was die Täter als ›geordnetes‹ Exekutionsverfahren darstellten, war in Wahrheit ein Blutbad. In der Nähe von Städten entstand dabei trotz gegenteiliger Befehle ein Phänomen, das man als ›Exekutionstourismus‹ bezeichnen könnte. Deutsche jedweder Couleur besuchten während oder außerhalb ihres Dienstes die Erschießungsstätten, um zuzusehen oder zu fotografieren.« [287]
    In dieser knappen Beschreibung sind die wesentlichen Elemente benannt, die uns auf den folgenden Seiten beschäftigen werden: der Ablauf als solcher, der im Verlauf der »Judenaktionen« beständig Modifizierungen erfährt, die Probleme und Schwierigkeiten, die bei der Durchführung auftreten, auf Bewältigung drängen und permanente Korrekturen und Optimierungen nach sich ziehen, und das Verhalten der Beteiligten, sprich der Offiziere, der Schützen, der Opfer, der Zuschauer, wobei Letztere das Ganze offenbar als durchaus unterhaltsame Veranstaltung auffassten. [288] Wie gesagt: Diese Form von Massentötung ist das Ergebnis einer Reihe zunächst vergleichsweise unprofessioneller Versuche, möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit zu erschießen. Die Berichte einzelner Kommandos wurden an die Höheren SS - und Polizeiführer weitergegeben, die sich dann bei ihren regelmäßigen Treffen wechselseitig über die effizientesten Verfahren austauschen konnten. [289] Auf diese Weise wurden Innovationen – wie das Entkleiden der Opfer, das keineswegs von Anfang an praktiziert wurde, oder die Wahl besonders geeigneter Waffen – der Tötungsarbeit schnell weitergegeben und der Ablauf der Massentötungen standardisiert.
    Die Erzählungen der Soldaten – übrigens nicht nur vom Heer, sondern auch von Luftwaffe und Marine – drehen sich um die sogenannten Judenaktionen, wie sie ab der Mitte des Jahres 1941 in den besetzten Gebieten hinter der vorrückenden Front durchgeführt werden: die systematischen Erschießungen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern, denen etwa 900 000 Menschen zum Opfer fielen. [290]
    GRAF : Auf dem Flugplatz in Poropoditz(?), erzählt die Infanterie, haben sie 15 000 Juden erschossen. Die haben sie alle auf einen Haufen zusammengetrieben, mit MG dazwischengeschossen, alle zusammengeschossen. Ungefähr hundert haben sie leben lassen. Also, zuerst haben sie alle zusammen ein Loch schaufeln müssen, so eine Grube, dann haben sie hundert leben lassen, die anderen zusammengeschossen. Dann haben die hundert alle da in das Loch reintun und zugraben müssen, bis auf so einen Spalt; dann haben sie die hundert erschossen und die auch dazu und zugemacht. [291]
    KRATZ : In Nikolajew hab ich mal zugesehen: Großer Lastwagenzug, mindestens so dreißig Wagen kommen da an. Was steht da drauf? Alles nackte Menschen: Weiber, Kinder, Frauen und Männer, alles zusammen in einem Wagen. Wir laufen hin, wo die hinfahren – Soldaten: ›Kommen Sie doch mal her.‹ Da habe ich mal zugeguckt. Großes Loch. Vorher hatten sie sie einfach so an den Rand gestellt. Kippten sie von selbst. Da haben sie zu viel arbeiten müssen, rauswerfen müssen, weil da nicht genug reingehen, wenn die so durcheinanderfallen. Da haben die Leute runter gehen müssen. Einer hat oben stehen müssen, der andere ging rein. Unten hingelegt, der Nächste drauf, nachher war das bloß nur eine schwammelige Masse. Dann einen auf den anderen gepackt, wie die Heringe. Das ist nicht vergessen. Ich möchte kein SS -Mann sein. Nicht nur die russischen Kommissare haben Genickschüsse verteilt. Andere auch. Das rächt sich. [292]
    Unteroffizier Kratz, ein Bordmechaniker eines Do217-Bombers, der mit seiner Einheit, dem Kampfgeschwader 100, 1942 im Süden Russlands eingesetzt war, beschreibt hier die technischen Optimierungen, die die Massenmordaktionen durchlaufen haben. Sachlich führt er aus, dass die zunächst praktizierte Form der Massenerschießung sich nicht als probat erweist, weil man nicht genug Opfer in den Gruben unterbringen kann.
    Massenerschießung litauischer Juden 1942 (unbekannter Fotograf; Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz)
    Kratz schildert das so sachlich wie irgendeine beliebige andere technische Komplikation, kommt aber zum Schluß darauf zu sprechen, dass es sich dabei doch insofern um etwas Besonderes handelt, als es sich, wie er sagt, »rächen« wird. Reflexionen wie diese schließen sich häufig den Schilderungen der

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