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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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könnte man zusammenfassen, ist den Männern klar und in ihren Referenzrahmen integriert, in ihrer Ökonomie der Aufmerksamkeit bleibt er aber ziemlich randständig.
    Dabei sind die wenigen Berichte meist sehr detailliert und zum Teil erheblich präziser als das, was später unter größter Anstrengung der Staatsanwaltschaften in langwierigen Ermittlungen zu rekonstruieren versucht wurde. Die Abhörprotokolle haben neben der Offenheit der Berichte vor allem das Merkmal der Zeitnähe – vieles, von dem berichtet wird, ist noch nicht lange her, und vor allem: Es ist nicht durch die vielfältigen Filter der Nachkriegslesarten gegangen. Auf diese Weise spricht das Material eine viel deutlichere Sprache als die von Exkulpationsbedürfnissen und von Abwehr imprägnierten Ermittlungsakten und eine noch einmal deutlichere als die Memoirenliteratur. Tatsächlich wird alles bestätigt, was bislang aus akribischen historischen Recherchen, juristischen Ermittlungen und Überlebendenaussagen über die Massenvernichtung rekonstruiert wurde. Nur, dass hier die Täter sprechen, oder zumindest jene, die die Taten beobachtet haben und zur Tätergesellschaft gehörten.
    BRUNS : Also an jeder Grube sechs Maschinenpistolenschützen – die Gruben waren 24 Meter lang und ungefähr 3 Meter breit, mussten sich hinlegen wie die Sardinen in einer Büchse, Köpfe nach der Mitte. Oben sechs Maschinenpistolenschützen, die dann den Genickschuss beibrachten. Wie ich kam, war sie schon voll, da mussten die Lebenden also dann sich drauflegen, und dann kriegten sie den Schuss; damit nicht so viel Platz verlorenging, mussten sie sich schön schichten. Vorher wurden sie aber ausgeplündert an der einen Station – hier war der Waldrand, hier drin waren die drei Gruben an dem Sonntag, und hier war noch eine anderthalb Kilometer lange Schlange, und die rückte schrittchenweise – es war ein Anstehen auf den Tod. Wenn sie hier nun näher kamen, dann sahen sie, was drin vor sich ging. Ungefähr hier unten mussten sie ihre Schmucksachen und ihre Koffer abgeben. Das Gute kam in den Koffer und das andere auf einen Haufen. Das war zur Bekleidung von unserem notleidenden Volk – und dann, ein Stückchen weiter, mussten sie sich ausziehen und 500 Meter vor dem Wald vollkommen ausziehen, durften nur Hemd und Schlüpfer anbehalten. Das waren alles nur Frauen und kleine Kinder, so Zweijährige. Dann diese zynischen Bemerkungen! Wenn ich noch gesehen hätte, dass diese Maschinenpistolenschützen, die wegen Überanstrengung alle Stunden abgelöst wurden, es widerwillig gemacht hätten! Nein, dreckige Bemerkungen: ›Da kommt ja so eine jüdische Schönheit.‹ Das sehe ich noch vor meinem geistigen Auge. Ein hübsches Frauenzimmer in so einem feuerroten Hemd. Und von wegen Rassenreinheit: In Riga haben sie sie zuerst rumgevögelt und dann totgeschossen, dass sie nicht mehr reden konnten. [285]
    In dieser Schilderung von Generalmajor Walter Bruns kommen einige Details vor, die frappieren: Die Länge der Schlange der auf den Tod Wartenden taxiert er auf eineinhalb Kilometer, eine ungeheure Zahl von Menschen, die hier zu ihrer Ermordung aufgereiht werden. Dann ist bemerkenswert, dass Bruns erwähnt, dass die Schützen »wegen Überanstrengung alle Stunden abgelöst wurden«, ein deutlicher Hinweis auf den seriellen, geradezu akkordhaften Charakter der Tötungen, der sich auch im Verfahren der Schichtung der Opfer spiegelt. [286] Und schließlich der Verweis auf die sexuellen Gelegenheiten, die mit den »Judenaktionen« verbunden waren (vgl. S. 217).
    Bruns spricht hier von einer Massentötung, die hoch organisiert und arbeitsteilig abläuft; die Täter haben bereits – von der Entkleidung der Opfer bis zu den Arbeitszeiten der Schützen – ein funktionales Arrangement gefunden, das die Erschießungen geregelt, nicht wild, ablaufen lässt. Das war zu Beginn der Massentötungen anders; die Form, die Bruns beschreibt, war das Ergebnis einer recht schnellen Professionalisierung des Tötens. Die Aktionen selbst folgten hier schon einem standardisierten Schema, das der Historiker Jürgen Matthäus so zusammenfasst: »Zuerst wurden die Juden in Razzien festgenommen und in Gruppen unterschiedlicher Größe zu einem mehr oder minder entlegenen Erschießungsplatz gebracht, wo die zuerst Angekommenen ein Massengrab ausheben mussten. Danach mussten sie sich ausziehen und in einer Reihe vor dem Massengrab aufstellen, so dass sie durch die Wucht der Schüsse in die

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