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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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Einflussmöglichkeiten als hoher Offizier waren in der geschilderten Situation beträchtlich; anders als einfache Soldaten musste er hier, wie sich dann am Ende der Erzählpassage zeigt, nicht bloß in der Rolle des passiven Zuschauers bleiben, sondern konnte etwas tun. Das Erzählen aus der Beobachterperspektive kommt in den Abhörprotokollen sehr häufig vor, jede aktive Beteiligung am Geschehen bleibt aber in der Regel im Dunkeln. Auf diese Weise positionieren sich die Erzähler gewissermaßen in der unverfänglichen Rolle des Berichterstatters – eine Erzählweise, die bis heute in vielen Zeitzeugeninterviews anzutreffen ist. Auch die Ausführlichkeit, in der Kittel hier berichtet, ist nicht außergewöhnlich – Erschießungsaktionen bieten viel Stoff für Gespräche und viel Anlass für Erwägungen und Fragen nach Schuld und Verantwortung.
    Zwei Dinge sind allerdings für heutige Leser verblüffend: Erstens wird sehr selten so intensiv nachgefragt, wie Felbert es hier macht. Oft hat man vielmehr den Eindruck, dass das Berichtete zwar im Detail immer noch Überraschungen für die Zuhörer und Gesprächspartner bereithält, aber der Vernichtungsprozess im Ganzen für niemanden etwas Unerwartetes darstellt. Auch Felbert fragt ja nach »den Waggons«, also einem Detail, das ihm offenbar bereits geläufig ist. Tatsächlich finden sich kaum Passagen, in denen die Zuhörer völlig überrascht sind, und noch weniger, in denen das Erzählte für unglaubwürdig gehalten und zurückgewiesen wird. Die Judenvernichtung, so lässt sich bündig zusammenfassen, ist Bestandteil der Wissenswelt der Soldaten, und zwar in weit höherem Maße, als es die jüngeren Untersuchungen [269] zum Thema erwarten lassen. Zweifellos haben nicht
alle alles
gewusst, aber in den Abhörprotokollen kommen sämtliche Details der Vernichtung vor, bis hin zu den Tötungen durch Kohlenmonoxid in Lastwagen und den späteren Ausgrabungen und Verbrennungen der Leichen im Rahmen der »Aktion 1005« (vgl. S. 206). Darüber hinaus werden eine Menge Gerüchte über die Vernichtung erzählt, weshalb man auch vor diesem Hintergrund davon ausgehen kann, dass fast jeder wusste, dass die Juden umgebracht wurden.
    Zweitens haben die erzählten Geschichten oft – aus heutiger Sicht – überraschende Wendungen. Während man nämlich als Zuhörer aus dem 21. Jahrhundert jetzt sehr gespannt darauf wartet, zu hören, in welcher Weise Kittel versucht hat, das Morden zu unterbinden, ist die Pointe seiner Geschichte eine ganz andere:
    KITTEL : Habe mich ins Auto gesetzt und bin zu diesem SD -Mensch rein und habe gesagt: ›Ich verbiete ein für alle Male, dass da draußen diese Erschießungen sind, wo man zuschauen kann. Wenn ihr die Leute im Wald erschießt oder irgendwo, wo es niemand sieht, das ist eure Sache. Aber das verbiete ich einfach, dass da noch ein Tag geschossen wird. Wir beziehen das Trinkwasser aus Tiefbrunnen, wir kriegen lauter Leichenwasser dort.‹ Das war der Kurort Meschems [270] , in dem ich lag, der liegt nördlich von Dünaburg. [271]
    Kittels Bedenken gegen das, was da vor sich geht, sind – trotz der eingestreuten Qualifizierungen: »Entsetzlich!«, »Das Schrecklichste« – vor allem technischer Art: Erschießen könne man schon, aber nicht dort, wo es geschieht. Kittel stört die Sichtbarkeit ebenso wie die mögliche Seuchengefahr, da sich die Täter offenbar zuvor keine Gedanken über die Trinkwasserversorgung gemacht haben. Felbert allerdings ist nicht daran, sondern am Fortgang der Geschichte interessiert:
    FELBERT : Was haben sie mit den Kindern gemacht?
    KITTEL (sehr erregt): Kinder, dreijährige Kinder, so oben am Schopf genommen, so hochgehalten und mit der Pistole abgeschossen, und dann haben sie sie hineingeworfen. Das habe ich selbst gesehen. Da konnte man zusehen, da standen die Leute auf 300 Meter Entfernung, da hatte der SD abgesperrt. Da standen die Letten da und die deutschen Landser und guckten zu.
    FELBERT : Was sind das nun für SD -Leute eigentlich?
    KITTEL : Ekelhaft! Ich bin der Ansicht, dass die alle selbst erschossen werden.
    FELBERT : Wovon waren die denn, von welcher Formation?
    KITTEL : Das waren Deutsche, die haben die Uniform vom SD an, dazu den schwarzen Streifen, wo Sonder-Dienst drauf steht.
    FELBERT : Die Henker waren alles Letten?
    KITTEL : Das waren alles Letten.
    FELBERT : Aber das Kommando wird gegeben von einem Deutschen?
    KITTEL : Ja. Die Deutschen haben die große Zeremonie gemacht, und die

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