Soldaten
Befehle und erzieherischer Maßnahmen war das Problem des Erschießungstourismus offenbar nicht in den Griff zu bekommen; ein Lösungsversuch für dieses Problem bestand dann etwa darin, »den Tötungseinheiten ›im Wege guten Einvernehmens‹ nahezulegen, ihre Erschießungen ›wenn möglich‹ nicht am Tage, sondern bei Nacht durchzuführen«, wie auf einer Konferenz von Militärverwaltungsoffizieren am 8. Mai 1942 beschlossen wurde, allerdings ziemlich folgenlos. [331]
Es ist an dieser Stelle müßig, darüber zu spekulieren, was im Einzelnen einen Zuschauer oder eine Zuschauerin motiviert haben mag, trotz Verbot einer Erschießung beizuwohnen – die Motive werden unterschiedlich gewesen sein: Gefühle von »Thrill« und Ungeheuerlichkeit, vielleicht auch von einer spektakulären Unwirklichkeit, dass hier Dinge geschehen, die im gewöhnlichen Leben nicht vorkommen, vielleicht auch Gefühle von Ekel und Abscheu, vielleicht auch von Befriedigung darüber, dass hier anderen widerfuhr, was einem selbst hoffentlich niemals geschehen würde. Wichtig ist in unserem Zusammenhang, dass es das verbreitete Phänomen des Zuschauens
gab
– die Tatsache, dass hier Menschen auf die geschilderte Weise vernichtet wurden, erregte also keineswegs solchen Abscheu, dass man sich mehrheitlich davon fernhielt. Voyeurismus und eine Freude am Betrachten des Unglücks anderer sind verbreitete psychologische Phänomene, die nicht nur, aber eben auch im Zusammenhang der Judenvernichtung auftreten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der Attraktionswert, den die Beschreibungen der Vernichtungsaktionen in den Gesprächen der Abhörprotokolle haben: Wenn man nicht dabei gewesen ist, möchte man es wenigstens en détail erzählt bekommen.
Obermaschinist Kammeier des Schnellbootes S-56 hat während seines Einsatzes in der Ostsee im Sommer 1941 im heute lettischen Libau bei einer Mordaktion zugeschaut.
KAMMEIER : Fast alle Männer waren da interniert, in großen Lagern, und da sagte – eines Abends traf ich einen und der sagte: ›Willst mal sehen? Da werden morgen welche erschossen.‹ Da kam tagtäglich immer so ein Lastwagen, und da sagte er: ›Kannst mal mitkommen.‹ Das war einer aus der Marineartillerie, der Kommandeur von ... Exekution da. Kam der Lastwagen an und hielt – da war so eine Sandgrube und da war so ein Graben, der war so 20 Meter lang. [...] Ich wusste gar nicht was los war, bis ich die Gräben gesehen hatte, da mussten sie so da rein und alles hier mit dem Kolben da los, los, los und hingestellt, mit dem Gesicht entgegengesetzt. Der Feldwebel hatte so eine Maschinenpistole ... und da standen da fünf Stück, da haben sie immer einen nach dem anderen ... Sie fielen meistens so um, die Augen verdreht, eine Frau war auch dabei. Ich habe es gesehen. Das war in Libau. [332]
Eine Steigerung des Dabeiseins stellt das bereits erwähnte Mitschießen dar. Oberstleutnant von Müller-Rienzburg von der Luftwaffe erzählt:
V. MÜLLER-RIENZBURG : Die SS hat eingeladen zum Judenschießen. Die ganze Truppe sind mit Gewehren hingegangen und [...] zusammengeknallt. Hat jeder sich aussuchen können, was für einen er wollte. Das waren so [...] von der SS , die sich natürlich bitter rächen werden.
V. BASSUS : Also das hat man so gemacht, wie zu einer Treibjagd, meinetwegen?
V. MÜLLER-RIENZBURG : Ja, ja. [333]
Bleibt in diesem Dialog noch unklar, ob Müller-Rienzburg die »Einladung zum Judenschießen« angenommen hat, wird zumindest deutlich, dass das Angebot von anderen Wehrmachtsoldaten angenommen wurde (»die ganze Truppe sind mit Gewehren hingegangen«). Dem Zuhörer fällt als Vergleich die Treibjagd ein, ohne dass er freilich eine besondere Verwunderung oder Überraschung erkennen ließe. Von einer jagdähnlichen Erschießung berichtet, allerdings aus zweiter Hand, Oberstleutnant August Freiherr von der Heydte:
HEYDT : Dieses ist eine wahre Geschichte, die mir Boeselager erzählt hat, der es immerhin bis zu den Schwertern gebracht hat, bevor er gefallen ist. Oberstleutnant [Georg] Freiherr von Boeselager war Regimentskamerad von mir. Er hat Folgendes erlebt, dass also bei einem SS -Führer – das war aber schon ’42 gewesen oder ’41 oder wann, also ganz zu Beginn der Angelegenheit – in Polen, glaube ich, war es, der ist so als Zivilkommissar dahin gekommen.
GALLER *: Wer?
HEYDTE : Der SS -Führer. Der Boeselager hat damals, glaube ich, gerade das Eichenlaub bekommen. Er ist also beim Essen,
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