Soldaten
Literatur über den Vernichtungskrieg und den Holocaust bislang wenig Berücksichtigung gefunden haben. Soldaten unterschiedlichster Einheiten und Ränge haben gelegentlich an Erschießungen teilgenommen, obwohl sie damit weder einem Befehl folgten noch formell das Geringste mit den »Judenaktionen« zu tun hatten. Daniel Goldhagen, der einen der wenigen bislang bekannten Fälle erwähnt, zieht daraus ein Argument dafür, wie sehr die Deutschen vom exterminatorischen Antisemitismus beseelt gewesen seien. Dabei ging es um eine Unterhaltungstruppe der Berliner Polizei, bestehend aus Musikern und Künstlern, die zur Frontbetreuung Mitte November 1942 in Lukow war und den Kommandeur des Reservepolizeibataillons 101 bat, am nächsten Tag bei der anstehenden Judenaktion mitschießen zu dürfen. Dem Ansinnen wurde entsprochen – am nächsten Tag vergnügte sich die Unterhaltungstruppe selbst, und zwar, indem sie Juden erschoss. Christopher Browning erwähnt denselben Fall. [326] Die Frage ist dabei nur, ob es antisemitischer Motive bedurfte, um beim Freizeiterschießen von Juden Freude zu empfinden.
Die Wahrheit ist wahrscheinlich trivialer. Den Männern machte es Spaß, etwas tun zu können, was sie unter gewöhnlichen Umständen niemals hätten tun dürfen – das Gefühl zu erfahren, jemanden straflos zu töten, totale Macht auszuüben, etwas ganz und gar Ungewöhnliches zu tun, ohne dafür irgendeine Sanktion fürchten zu müssen. Es ist ein Eskapismus des Möglichen, der hier als Motiv völlig ausreichend ist – das, was Günter Anders einmal die »Chance der unbestraften Unmenschlichkeit« genannt hat. Offenbar war das Morden ohne Grund für nicht wenige Männer eine kaum widerstehliche Verlockung. Gewalt solcher Art braucht weder ein Motiv noch einen Grund. Es genügt, dass man sie ausüben darf.
Auch in den Abhörprotokollen finden sich Beschreibungen von freiwilligen Teilnahmen an Massenerschießungen oder zu Offerten, dass man mal mitschießen dürfe, wenn man Lust dazu habe. [327] Diese von heute aus gesehen unglaublichen Episoden deuten an, dass die Vernichtungsaktionen keineswegs im Verborgenen stattfanden und auch nicht immer mit Entsetzen und Abscheu wahrgenommen wurden. Im Gegenteil versammelten sich um die Erschießungsgruben wie in einer Arena regelmäßig Zuschauer – Ortsansässige, Wehrmachtsoldaten, Angehörige der Zivilverwaltung – und machten die Massenvernichtung zu semi-öffentlichen Schauveranstaltungen mit Unterhaltungswert, als die sie ausdrücklich nicht geplant waren. So verbietet ein Befehl des Höheren SS - und Polizeiführers Erich von dem Bach-Zelewski vom Juli 1941 eigens die Anwesenheit von Zuschauern bei Massenerschießungen: »... sind alle als Plünderer überführten männlichen Juden im Alter von 17 bis 45 Jahren sofort standrechtlich zu erschießen. Die Erschießungen haben abseits von Städtchen, Dörfern und Verkehrswegen zu erfolgen. Die Gräber sind so einzuebnen, dass keine Wallfahrtsorte entstehen können. Ich verbiete das Fotografieren und die Zulassung von Zuschauern bei Exekutionen. Exekutionen und Gräber sind nicht bekanntzugeben.« [328] »Trotz gegenteiliger Befehle« allerdings pilgerten Menschen kontinuierlich zu den Erschießungen, fotografierten, delektierten sich vielleicht auch an dem obszönen Szenario völlig hilfloser, nackter Menschen und besonders Frauen, gaben Ratschläge und feuerten die Schützen an. [329]
Erschießung eines Zivilisten durch einen SS -Unterscharführer (?) der Einsatzgruppen vor Zuschauern (Wehrmacht, SS , Reichsarbeitsdienst, HJ ). Vinnitsa/Ukraine, 1942, unbekannter Fotograf (Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin)
Der Attraktionswert scheint insgesamt größer als die Befürchtung, gegen Anordnungen oder Befehle zu verstoßen. Major Rösler beschreibt, dass bei einer Erschießung »aus allen Richtungen [...] Soldaten und Zivilisten auf einen nahen Bahndamm« zuliefen, hinter dem sich die Aktion abspielte: »Polizisten mit besudelten Uniformen liefen umher. Soldaten (zum Teil nur mit einer Badehose bekleidet) standen in Gruppen beisammen; Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, schauten zu.« Am Schluss seines Berichts erklärte Rösler, er habe in seinem Leben schon einige unerfreuliche Dinge erlebt, ein solches Massengemetzel aber, noch dazu in aller Öffentlichkeit, wie auf einer Freilichtbühne, übersteige alles bisher Gesehene. Es verstoße gegen die deutschen Sitten, Ideale usw. [330]
Trotz einschlägiger
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