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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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Kaserne reingekommen, schlafen, damit wir nicht draußen –
    HARTELT : Da hat sie sich auch gewiss hacken lassen noch?
    MINNIEUR : Hacken lassen hat sie sich, aber man musste sich vorsehen, dass man nicht gekriegt wurde da. Das ist ja nichts Neues, die sind umgelegt worden die Judenweiber, dass es nicht mehr schön war.
    HARTELT : Was hat sie denn gesagt so, dass sie –?
    MINNIEUR : Gar nichts. Ach, wir haben uns unterhalten, [...] in Göttingen war sie auf der Universität.
    HARTELT : Da hat sie sich zur Hure machen lassen!
    MINNIEUR : Ja. Sie haben es nicht gemerkt, dass es eine Jüdin war, war auch ganz anständig und so. Ist eben Pech gewesen, musste mit dran glauben! Da sind 75 000 Juden erschossen worden. [293]
    In diesem Dialog kommen mehrere Dinge zusammen, die die Soldaten häufig beschäftigen, wenn es um die »Judenaktionen« geht (die sie übrigens kein einziges Mal so bezeichnen): erstens die Durchführung, die auch hier wieder detailliert geschildert wird. Dann, zweitens, die Erschießung von Frauen, wobei besonders bemerkenswert erscheint, dass auch »hübsche« Frauen erschossen werden. In diesem Fall bestand offenbar eine Bekanntschaft zwischen dem Erzähler und einem weiblichen Opfer, die zuvor Zwangsarbeit in seiner Kaserne hatte leisten müssen. Ganz selbstverständlich geht der Mechanikermaat Hartelt davon aus, dass Zwangsarbeiterinnen, hübsche zumal, auch für die sexuellen Bedürfnisse der Mannschaften zur Verfügung stehen: »Da hat sie sich gewiss auch hacken lassen noch?« Minnieur bestätigt das ebenso selbstverständlich und verweist auf die schon erwähnte Problematik der »Rassenschande« – erwischen lassen durfte man sich beim Geschlechtsverkehr mit jüdischen Frauen nicht. Minnieurs weitere Erzählung (»Das ist ja nichts Neues, die sind umgelegt worden die Judenweiber, dass es nicht mehr schön war«) spielt auf die Praxis an, dass Jüdinnen nach dem Geschlechtsverkehr erschossen wurden, damit sie die Soldaten nicht belasten konnten (vgl. S. 219). Es wird hier deutlich, dass die Tatsache der Massenvernichtung einen Gewaltraum öffnet, der auch ganz andere Gelegenheiten wirklich werden lässt: Wenn Menschen sowieso vernichtet werden, dann kann man ihnen auch vor der Ermordung Dinge antun oder von ihnen bekommen, die unter anderen Bedingungen nicht realisierbar oder erreichbar wären.
    Es fällt auf, dass über den sexuellen Missbrauch völlig offen gesprochen wird, obwohl die beiden Soldaten – das »Sie« als Anrede weist darauf hin – sich wohl nicht näher kennen. Geschichten vom »hacken« gehören also offensichtlich zum normalen Inventar der soldatischen Gespräche und stoßen auf keinerlei Irritationen.
    Das Gespräch geht denn auch ganz zwanglos weiter. Minnieur berichtet, das Opfer habe in Göttingen studiert, was Hartelt zu der Bemerkung veranlasst, dass sie sich nun habe »zur Hure machen lassen«. Formulierungen solcher Art machen das spezifische Verhältnis deutlich, das die Männer zu der sexuellen Gewalt gegenüber weiblichen Opfern haben: Erstens finden sie Vergewaltigungen an sich nicht verwerflich, zweitens interessieren sie sich durchaus auch »menschlich«, wie sie sagen würden, für einige der Opfer, zumal dann, wenn sie attraktiv sind, drittens weisen sie diesen selbst oft einen aktiven Anteil an dem zu, was ihnen widerfährt – wie es in der höchst ambivalenten Formulierung »zur Hure machen« zum Ausdruck kommt. Viertens wird das ganze Geschehen in den sich autonom abspielenden Lauf der Dinge geordnet: »Ist halt Pech gewesen«; und angesichts der exorbitanten Zahl der Opfer – Minnieur spricht an dieser Stelle von 75 000 – spielt ein Einzelschicksal wie das der »hübschen Jüdin« auch keine besondere Rolle.
    Gerade darin, dass diese Morde in die Kategorie Schicksal einsortiert werden, ganz so, als obwalte hier ein höheres Gesetz, dem ausgesuchte Menschen, ob studiert, hübsch, fesch angezogen oder nicht, zum Opfer fallen
müssen,
zeigt sich der Referenzrahmen, in dem die Massenvernichtung gedeutet wird. Hartelt und Minnieur sprechen hier nicht nur über Massenmord, sondern indirekt auch darüber, dass dieser nicht als etwas betrachtet wird, was unrecht oder unmoralisch oder in irgendeiner anderen Weise negativ sei. Beim Zuschauen kann einem schon mal, wie Minnieur, das »Grauen« kommen, das Morden an sich gehört aber in das Universum der Dinge, die eben geschehen.

Mitschießen
    Kommen wir nun noch zu zwei anderen Aspekten, die in der

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