Soldaten
so.
Umgekehrt legt die Offenheit der Gastgeber, die die Angebote zum Mitschießen unterbreiten, nahe, wie selbstverständlich dieses Tun war und wie wenig sie erwarteten, mit derlei Offerten auf Irritation oder gar Ablehnung zu stoßen. Man kann daher plausibel davon ausgehen, dass das Mitschießen auf Einladung oder Bitte eine ebenso verbreitete Praxis war wie das Zuschauen, dessen Unterhaltungswert sich von heute aus ja ebenso wenig erschließt. Das heißt: Die Massenerschießungen waren nichts, was aus dem Referenzrahmen von Soldaten herausfiel, was ihrer Weltsicht grundsätzlich zuwiderlief.
Dieser Befund wird auch dadurch bestätigt, dass es eine Reihe von Äußerungen gibt, die die Judenvernichtung eindeutig befürworten, hier von zwei jungen Offizieren der U-Boot-Waffe, dem 23-jährigen Leitenden Ingenieur von U433, Oberleutnant Günther Gess, und dem 26-jährigen Ersten Wachoffizier von U 95, Oberleutnant Egon Rudolph:
RUDOLPH : Wenn man an die armen Kumpels in Russland denkt, bei 42 Grad Kälte!
GESS : Ja, aber die wissen, wofür sie kämpfen.
RUDOLPH : Eben – die Ketten müssen ein für alle Mal gesprengt werden.
GESS & RUDOLPH (singen lauthals): Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, ei, dann gehts noch mal so gut.
GESS : Die Schweine! Die Lumpenhunde!
RUDOLPH : Ich hoffe, dass der Führer uns Gefangenen den Wunsch erfüllt und jedem einen Juden und einen Engländer zum Schlachten gibt; in Stücke schneiden – so ein Messer, Kleinigkeit, Mensch. Harakiri mache ich mit denen. In den Bauch hinein und in den Gedärmen herumdrehen! [336]
Anständigkeit
Trotz der vielfach geschilderten Gewalt und trotz des Wissens um die Massenerschießungen und auch um die verbrecherische Behandlung von Kriegsgefangenen leben die Soldaten in einem moralischen Universum, in dem sie das Gefühl haben, selbst »gute Kerle«, oder, wie Heinrich Himmler es genannt hat, »anständig geblieben zu sein«. Die nationalsozialistische Ethik der Anständigkeit speist sich nun vor allem aus dem Motiv, sich nicht persönlich zu bereichern oder individuellen Vorteil aus Verbrechen, Morden, Vergewaltigungen, Plünderungen etc. zu ziehen, sondern dies alles stets um eines höheren Zwecks willen zu tun. Diese Ethik der Anständigkeit erlaubt es, Dinge, die unter Gesichtspunkten christlich-abendländischer Moral absolut böse sind, als gerechtfertigt, ja, als notwendig in das eigene moralische Selbstbild zu integrieren. Tatsächlich gestattet es diese Form nationalsozialistischer Moral – die auch vorsieht, dass man unter der »Drecksarbeit«, die man mordend machen muss, durchaus selbst leiden kann –, zu morden und sich dabei in einem moralischen Sinn nicht schlecht zu fühlen. [366] Ideologen der Vernichtung wie Himmler, Täter wie Rudolf Höß und zahllose andere haben immer wieder betont, dass es eine unangenehme, der eigenen »Menschlichkeit« widerstrebende Aufgabe war, Menschen zu vernichten, sich aber gerade in der Selbstüberwindung zum Töten die besondere charakterliche Qualität der Täter zeige. Es geht dabei um die Verkoppelung von Töten und Moral, und es ist diese Verkoppelung zwischen der Einsicht in die Notwendigkeit unangenehmer Handlungen und dem Gefühl, diese als notwendig angesehenen Handlungen
gegen
das eigene mitmenschliche Empfinden auszuführen, die den Tätern die Möglichkeit gab, sich noch im Morden als »anständig« zu empfinden: als Person, die – um Rudolf Höß zu zitieren – »ein Herz hatte«, die »nicht schlecht war«. [367]
Wenn ausgewiesene Täter autobiographisches Material – Tagebücher, Aufzeichnungen, Interviews – hinterlassen haben, zeigt dieses in der Regel ein auffälliges Merkmal. Selbst wenn die betreffenden Personen offenbar keinerlei humanen Zurechnungsmaßstab für das zu haben scheinen, was sie angerichtet haben, sind sie doch regelmäßig ängstlich darauf bedacht, nicht als »schlechte Menschen« dazustehen, sondern als Personen, deren moralisches Vermögen gerade auch im Rahmen der extremen Situationen ihres Handelns intakt geblieben war. Aber es kann sein, dass dieser Befund zu einem guten Teil auf die normalerweise herangezogenen Quellen zurückgeht: Autobiographische Texte sind immer auch Bekenntnisse, Rechenschaftstexte, in denen jemand nicht nur vor anderen, sondern auch vor sich selbst die Dinge, die er berichtet, mit dem Bild in Deckung bringt, das er von sich hat und von dem er möchte, dass andere es von ihm haben. Stammen die Darstellungen der
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