Soldaten
Massenvernichtung an. Viele der Erzähler sehen offenbar eine erhebliche Gefahr, dass die Überschreitung des konventionellen Kriegsgeschehens und auch dessen, was als »normales«, immer wieder vorkommendes Kriegsverbrechen betrachtet wird, sich »rächen« wird. Die Massenerschießungen verkörpern also immerhin ein solches Maß an Grenzüberschreitung und Abweichung vom selbst im Krieg Erwartbaren, dass die Soldaten sich nicht vorstellen können, dass das im Fall eines verlorenen Kriegs folgenlos bleiben könne.
Der folgende Dialog dreht sich um eine »Judenaktion« in Wilna in Litauen. Er wird hier ausführlich dokumentiert, weil in diesem Gespräch mehrere Aspekte zusammenkommen, die deutlich machen, in welcher Widersprüchlichkeit, aber auch Unaufgeregtheit die Soldaten solche Geschehnisse betrachten, und auch, was ihnen beim Reden darüber besonders interessant erscheint. Anhand des Gespräches zwischen zwei U-Boot-Fahrern, dem 23-jährigen Mechanikermaat Helmut Hartelt und dem 21-jährigen Matrosen Horst Minnieur, der während seiner Zeit beim Reichsarbeitsdienst in Litauen Zeuge der Verbrechen wurde, wird deutlich, in welchen Referenzrahmen die Massenvernichtung eingeordnet wird.
MINNIEUR : Mussten sich ausziehen bis aufs Hemd und die Weiber bis auf Schlüpfer und Hemd und dann wurden sie erschossen von der Gestapo. Da sind sämtliche Juden hingerichtet worden.
HARTELT : Im Hemde?
MINNIEUR : Ja.
HARTELT : Warum denn das?
MINNIEUR : Na ja, damit sie keine Sachen mit runternehmen. Die Sachen wurden aufgehoben, sauber gemacht, gestopft.
HARTELT : Verwendet, was?
MINNIEUR : Ja, klar.
HARTELT : (lacht)
Kleidungsstücke der Ermordeten, Babi Jar, September 1941 (Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden)
MINNIEUR : Glauben Sie, wenn Sie es gesehen hätten, Ihnen wäre das Grauen gekommen! Wir haben einmal zugesehen da beim Erschießen.
HARTELT : Mit MG erschossen?
MINNIEUR : Mit MP . [...] Und wir sind noch da gewesen, wo ein hübsches Weib erschossen wurde.
HARTELT : Schade drum.
MINNIEUR : Alles ratzekahl! Sie wusste ja, dass sie erschossen wird. Wir fuhren mit Motorrad vorbei, und da sehen wir einen Zug da, und da ruft sie auf einmal uns, da stoppen wir, fragten wir, wo sie hingehen. Meinte sie, ja, sie gehen zum Erschießen. Wir haben so zuerst gedacht, die macht einen Witz irgendwie. Hat sie uns so ungefähr den Weg erklärt, wo das ist. Wir fuhren hin – ist Tatsache erschossen worden.
HARTELT : Ist die denn noch in ihren Kleidern hingegangen?
MINNIEUR : Ja, war so fesch angezogen. Bestimmt schneidiges Mädel.
HARTELT : Wer die erschossen hat, der hat bestimmt vorbeigeschossen.
MINNIEUR : Kann ja keiner etwas dagegen machen. Bei dem ... da schießt keiner vorbei. Die sind hingekommen, mussten sich die Ersten hinstellen, wurden sie erschossen. Da standen die da mit den MP s, da haben sie immer so kurz so rauf und runter gestrichen, also einmal nach rechts und einmal nach links mit den MP s, da standen sechs Mann, da wurden so eine Reihe von –
HARTELT : Da wusste keiner, wer das Mädchen erschossen hat?
MINNIEUR : Nee, wussten sie nicht. Magazin angeschlagen, rechts – links – fertig! Ob sie noch leben oder nicht, bleibt egal, wo die getroffen sind, kippen sie ja nach hinten ab, fallen in eine Grube rin. Dann kam der nächste Trupp an mit Asche und Chlorkalk, hat die bestreut, die da unten liegen, haben die sich rangestellt – gings weiter.
HARTELT : Die bestreuen sie? Warum denn das?
MINNIEUR : Weil die doch verwesen, und damit es nicht so stinkt und alles, haben sie Chlorkalk drüber gekippt.
HARTELT : Die da umgekippt sind, die da noch nicht richtig tot waren?
MINNIEUR : Haben Pech gehabt, die sind unten verreckt!
HARTELT : (lacht)
MINNIEUR : Da haben Sie aber ein Gejammer und Geschrei gehört!
HARTELT : Die Weiber, die sind doch mit erschossen worden da?
MINNIEUR : Ja.
HARTELT : Haben Sie das gesehen, wo die hübsche Jüdin noch dabei war?
MINNIEUR : Nein, da waren wir nicht mehr da. Wir wussten bloß, dass sie erschossen wurde.
HARTELT : Hat die denn irgendwie was vorher gesagt? Waren Sie mit der zusammen noch einmal?
MINNIEUR : Ja, wir waren ja den vorletzten Tag noch zusammen, den anderen Tag wundern wir uns, sie kommt nicht mehr. Da fuhren wir weg mit der Maschine.
HARTELT : Ja, hat die mitgearbeitet da?
MINNIEUR : Die hat da mitgearbeitet.
HARTELT : Straßenbau?
MINNIEUR : Nein, Kasernen saubergemacht bei uns. Wo wir da waren, die acht Tage sind wir in die
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