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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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Taten aus Ermittlungsverfahren, verkompliziert sich dieser Sachverhalt noch um die juristische Komponente: Der Täter möchte moralisch gut dastehen
und
sich auf keinen Fall belasten.
    In den abgehörten Gesprächen sieht das anders aus: Denn es gibt hier keinen externen moralischen Raum, auf den die Aussagen sich beziehen. Der Ausgang des Krieges ist ungewiss, von einer moralischen Bewertung des Tuns, der »Judenaktionen«, gar von »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« kann noch keine Rede sein. Die Männer reden unter sich, teilen dieselbe soldatische Welt und den Referenzrahmen, in den ihre Taten geordnet werden. Mit anderen Worten: Es bedarf weder einer Definition noch der gegenseitigen Versicherung, dass man zu den »anständigen« Menschen gehört. Allenfalls wenn die Sicht »des Auslands« oder anderer auf die Deutschen überhaupt thematisiert wird, sprechen die Männer auch mal ausdrücklich über »Anständigkeit«. Wenn das der Fall ist, sind sie regelmäßig der Auffassung, anständiger zu sein als eigentlich erforderlich:
    ELIAS : Der deutsche Landser selbst, der nicht bei der SS ist, der ist viel zu anständig gewesen.
    FRICK : Bestimmt, man ist direkt manchmal zu anständig.
    ELIAS : Ich bin im ersten Urlaub, also ’39 Weihnachten, bin ich da unten gewesen und komme ich auch so aus einem Lokal und kommt auch so ein Pole da und quatscht was auf Polnisch und stößt mich so ein bisschen an. Und ich drehe mich um – ich wusste ja, was da gespielt wird – drehe mich um, haue dem die Faust zwischen die Augen, ›Du polnisches Schwein du.‹ Er war anständig angesoffen, ›bums‹ lag er da. Mache mir die Hand wieder sauber – ich hatte Wildlederhandschuhe an, weißt Du – auf einmal kommt ein Schupo ohne Tschako. Aber – na sagt er: ›Kamerad, was ist denn hier los?‹ Ich sage: ›Das Polenschwein hat mich angerempelt.‹ Sagt er: ›Was, und da lebt das Schwein noch? Na‹, sagt er: ›Sind zu viel Leute da.‹ Guckt er ihn an: ›Ach, Bruder, auf dich haben wir schon lange gelauert.‹ Sagt er: ›Ich zähle bis drei, wenn du nicht weg bist, dann passiert was.‹ Und er zählt ›eins‹, da war er schon auf und weg. Dann stellt er sich vor mich so hin. ›Hättest du doch gleich zugeschlagen, hättest du das Seitengewehr genommen, hättest ihn über den Haufen gestochen, wäre besser gewesen.‹ Na, ich gehe da so ein bisschen rum, durch die Stadt, das war so im Winter gegen vier Uhr nachmittags, und auf einmal knallt es: puff, puff, denke ich: ›Nanu, was ist denn da los?‹ Am selben Abend höre ich schon: Das ist so ein Aufständchen ... hat er mit dem Schupo Krach gekriegt und der wollte ihn verhaften, der wollte flüchten – auf der Flucht erschossen. Und was war es gewesen, der Schupo, der es gesagt hat ›verflucht zu viel Leute da.‹ Der hat gesagt also, ›abhauen‹, und der ist ihm nachgegangen und hat den umgelegt. ›Auf der Flucht erschossen.‹ [368]
    Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass Angehörige der feindlichen Gruppe überhaupt irgendetwas tun, was dann die jeweilige Aktion der Soldaten begründet – sei es, dass sie Partisanen, Terroristen oder einfach nur »angesoffen« sind. Die »Anständigkeit«, in deren Kontext der Erzähler seine Geschichte ansiedelt, scheint sich hier einfach darauf zu beziehen, dass er »das Polenschwein« nicht gleich selber getötet hat. Wohlgemerkt: Bis darauf, dass der Pole den Erzähler »so ein bisschen« angestoßen hatte, hatte er ja nichts getan, irgendeine »Bestrafung« gerechtfertigt hätte. Gleichwohl fällt hier unter die Kategorie »Anständigkeit«, dass der Pole zunächst mit dem Leben davonkam, wenn auch nicht lange. Kurz darauf wird er »auf der Flucht erschossen«.
    Geschichten dieser Art kommen keineswegs nur im Osten vor. Ganz ähnlich wird über ein Ereignis in Dänemark erzählt:
    DETTE : Wann waren Sie denn in Dänemark? Vor zwei Jahren?
    SCHÜRMANN : Ich war im vergangenen Jahre, im Januar, Februar [1943].
    DETTE : Wie waren da die Dänen, freundlich?
    SCHÜRMANN : Nein, da haben sie manchen verprügelt. Die sind ja so unverschämt, die Dänen, da machen Sie sich ja keinen Begriff, feige bis dort hinaus, ein Volk, das ist direkt eine Schweinerei. Ich kann mich noch genau entsinnen: Ein Oberleutnant hat einen Dänen erschossen in der Straßenbahn, und den haben sie anschließend vor das Kriegsgericht gestellt. Ich verstehe das nicht, die Deutschen sind viel zu gutmütig, ganz bestimmt. Also die Straßenbahn

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