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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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fuhr an, und ein Däne hat ihn rausgeschmissen, ist er lang hingeflogen draußen. Da ist der so zornig geworden, war überhaupt schon so ein zorniger Mann, dass er Oberleutnant Schmitt, und der ist noch, Gott sei Dank, hinten draufgesprungen auf den Anhänger, ist anschließend an der nächsten Station vorne hereingegangen und hat den Kerl gleich niedergeknallt ohne große Überlegungen. [369]
    Gründe für das Töten gibt es, wie ja schon an mehreren Stellen dieses Buches zu sehen war, viele:
    ZOTLÖTERER : Ich habe einen Franzosen von hinten erschossen. Der fuhr mit dem Fahrrad.
    WEBER : Von ganz nahe?
    ZOTLÖTERER : Ja.
    HEUSER : Wollte der dich gefangen nehmen?
    ZOTLÖTERER : Quatsch. Ich wollte das Fahrrad haben. [370]

Resümee: Der Referenzrahmen des Krieges
    Bevor wir uns abschließend der Frage zuwenden, was eigentlich nationalsozialistisch am Krieg der Wehrmacht war, wollen wir noch einmal zusammenfassend den Referenzrahmen des Krieges skizzieren, wie er für die Soldaten maßgeblich war. Durchgängig sollte deutlich geworden sein, dass für die
basale Orientierung
der Wehrmachtsoldaten – also für ihre Wahrnehmung und Interpretation dessen, was vor sich geht – das militärische Wertesystem und die soziale Nahwelt von entscheidender Bedeutung ist. Ideologie, Herkunft, Bildungsstand, Lebensalter, Dienstrang und Waffengattung differenzieren in dieser grundlegenden Hinsicht kaum. Deutliche Differenzen zeigen sich lediglich zwischen Wehrmacht und Waffen- SS .
     
    Kulturelle Bindungen
unterstreichen das noch einmal: hier vor allem die Bindungen an den militärischen Wertekanon, an die damit verbundenen formalen und gefühlten Verpflichtungen und an die Auszeichnungen, die man erwerben kann. Wir haben in einem Vergleich deutscher, italienischer und japanischer Soldaten gesehen, dass es jeweils einen spezifisch nationalen Referenzrahmen gab, der zur Klärung der Frage beiträgt, warum etwa die deutschen Soldaten auch dann noch weiterkämpften, als der Krieg für sie schon erkennbar verloren war.
     
    Aber dazu trägt auch der simple Umstand bei, dass man an der konkreten Stelle, an der man eingesetzt ist,
nicht weiß
, dass der Krieg verloren ist, oder nicht weiß, was es bedeutet, dass er verloren ist, oder dass diese Tatsache ganz unerheblich für die Lösung der Aufgabe ist, eine Stellung zu halten, nicht in Gefangenschaft zu geraten oder seine Männer nicht verlieren zu wollen. Wissen über größere Geschehenszusammenhänge schließt ein davon völlig unabhängiges Verhalten in der konkreten Anforderungs- und Handlungssituation überhaupt nicht aus; tatsächlich ist es der Regelfall, dass Deutungen und Entscheidungen in konkreten Situationen unabhängig vom Blick »auf das Ganze« gemacht werden. Insofern überrascht es kaum, dass den abgehörten Soldaten der Blick auf übergeordnete Sinnzusammenhänge meist völlig abgeht.
     
    Irritationen erleben sie, wenn etwas wider ihren
Erwartungen
verläuft – zum Beispiel, wenn sich die anfängliche Euphorie über die siegreichen Blitzkriege und die vorauseilenden Phantasien über den Endsieg an den Erfolgen der Gegner bricht und die Siegeszuversicht schwindet. Deutlich wird aber auch, dass die Entwicklung solcher Erwartungen kaum etwas an der Bereitschaft ändert, die soldatischen Aufgaben zu erfüllen – die Vergeblichkeit des Ganzen modifiziert nicht den Referenzrahmen, in dem die eigene Rolle und die eigene Aufgabe betrachtet wird. Im Gegenteil: Die Klagen über die Unzulänglichkeit von Führung und Material wachsen an, gerade
weil
man die Arbeit des Soldaten weiterhin gut machen möchte.
     
    Zeitspezifische Wahrnehmungskontexte
prägen, wie anhand des Verhältnisses zur extremen Gewalt, der sexuellen Übergriffe, der rassistischen Deutungen und auch am Führerglauben zu sehen war, die Wahrnehmungen, Deutungen und Handlungen der Soldaten – so sehr, dass aus der Sicht der Gegenwart immer wieder frappierend ist, wie beiläufig die brutalsten Taten und Geschehnisse erzählt und angehört werden oder wie tief der Glaube an und das Vertrauen in Adolf Hitler bis in das letzte Kriegsjahr hinein sind.
     
    Rollenmodelle und -anforderungen
prägen das Verhalten der Soldaten mehr als alles andere. Tatsächlich muss man fast tautologisch sagen, dass es »das Soldatische« in den Vorstellungen und in der Gruppenpraxis ist, was ihre Wahrnehmungen und Handlungen anleitet – daher auch die äußerst genauen Beobachtungen und Bewertungen des Verhaltens der

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