Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
„Cédric, sag ihnen, dass wir deine Freunde sind!“, hörte sie Gallea rufen. Sequana war sich noch immer nicht sicher, ob Doignac eher Gast oder Gefangener van Ijssels war – vermutlich wusste er das selbst genauso wenig.
Die Secs führten sie durch das Treppenhaus bis ins oberste Stockwerk des Gebäudes. Hier befand sich ein großer, fast leerer Raum. Ein Mann stand vor einem Schreibtisch mit einigen großen Monitoren dahinter. Er war hochgewachsen und trotz seiner gut sechzig Jahre in bester körperlicher Verfassung. Sein Vollbart und die Schläfen waren bereits ergraut, doch das volle, lockige Haar war ansonsten tiefschwarz. Er trug einen grauen Anzug aus feinem Stoff und ein schwarzes Hemd, das nicht ansatzweise in eine Umgebung wie das zerstörte Amsterdam passte. Auch wenn es Sequana ärgerte, sie spürte, dass sie beeindruckt war von der Erscheinung des Mannes.
In einem abgewetzten schwarzen Ledersessel daneben saß eine Frau, die aussah, als wäre sie einem Film-Noir-Streifen entsprungen. Die fein gezogenen Augenbrauen, der dunkle Lidschatten und der tiefrote Lippenstift, den sie trug, stachen deutlich aus ihrem vornehm blassen Gesicht hervor. Die dunkelbraunen Haare fielen in leichten Wellen in ihren Nacken. Schwarze, nietenbesetzte Lederstiefel gingen ihr bis über die Knie und zeigten einen Streifen nackter Haut, als sie die Beine überschlug und sich das schlichte, braune Kleid zurecht zog, das aus so dünnem Stoff war, dass Sequana beim bloßen Anblick zu frieren glaubte.
„Willkommen in Amsterdam!“, begrüßte sie der Mann und lächelte auf eine wenig einladende Art.
„Was wollen Sie von uns, van Ijssel?“, gab Gallea gereizt zurück. Der Streit mit Doignac schien ihm noch nachzuhängen.
„Sie sind in meine Stadt gekommen, mein Freund, vielleicht sollten Sie Ihr Anliegen zuerst vortragen.“ Clef van Ijssel nickte einem der Secs hinter ihnen zu. Sequana drehte sich um. Offenbar hatten die Secs auch Doignac eher unsanft mitgeschleift, doch jetzt ließen sie ihn los. Der Professor stand unschlüssig im Raum und achtete darauf, nicht in Sequanas oder Galleas Richtung zu blicken.
„Monsieur Doignac“, van Ijssel musterte seine unerwarteten Gäste kurz aber gründlich, „können Sie mir erklären, was diese beiden bei Ihnen zu suchen haben?“
„Sie haben mein Verschwinden aus Paris falsch gedeutet und sind meiner Spur gefolgt“, entgegnete Doignac.
„Wie bedauerlich.“
„Aber ich konnte sie davon überzeugen, dass es mir gut geht und sie wieder nach Paris zurückkehren“, fügte Doignac hastig hinzu.
„Sehen Sie, Doignac, selbst wenn ich Ihnen das glauben würde, könnte ich sie nicht wieder gehen lassen.“ Mit einer Hand am Revers seines Anzugs drehte sich van Ijssel zu der Frau auf dem Sessel. „Das hier ist Fenja“, er streckte eine Hand aus und half der Frau mit einer galanten Geste aus dem Sessel, „sie wird sich um die Dame kümmern. Hätte ich gewusst, dass Sie einen Klon direkt hierherbringen, Doignac, ich hätte Ihnen ein ordentliches Abendessen ausgegeben.“
Die Film-Noir-Frau gab zwei der Secs ein Zeichen, und diese packten Sequana unsanft an den Armen. Gallea wollte eingreifen, doch der Lauf eines Sturmgewehrs in seinem Nacken ließ ihn sein Vorhaben überdenken. Sequana sah zu Doignac, der wie vom Donner gerührt bewegungslos da stand und auf seine Füße blickte, als die Secs sie an ihm vorbei zurück ins Treppenhaus zerrten.
Kurz darauf fand sich Sequana in einem fensterlosen Raum wieder, der bis auf einen Stuhl in der Mitte leer war. Die Secs hatten sie gezwungen, dort Platz zu nehmen und ihre Hände mit einem Seil hinter der Rückenlehne festgebunden. Fenja gab ein knappes Zeichen und die Sicherheitsleute verschwanden aus dem Raum.
„Du bist also ein Klon“, stellte sie fest und trat näher an Sequana heran. „Es war nicht besonders schlau von dir, Clef in die Arme zu laufen, Süße!“
„Ich hatte die Wahl zwischen einem irren alten Mann mit Sec-Team in Paris und einem irren alten Mann mit Sec-Team in Amsterdam“, entgegnete Sequana trocken. „Keine besonders tolle Wahl.“
„Wenn ich du wäre, hätte ich mich lieber erschießen lassen“, Fenja zuckte mit den Schultern und griff mit der linken Hand nach Sequanas Kinn. Sequana bemerkte die schwarz lackierten Fingernägel am Ende der langen, knochigen Finger.
„Und was wird das jetzt?“, fragte sie ungeduldig.
„Wo ist Ninive Solheim?“
Sequana sah überrascht zu Fenja auf. Woher wusste
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