Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
Besatzungsherren erzählt auch eine Geschichte aus einem Bahnabteil. Man nannte das damals: »Die Rache der Stubenfliege«.
In einem Zugabteil sitzen ein hübsches Mädchen, ihre Mutter, ein junger Mann und ein farbiger Besatzungssoldat. Der Zug fährt durch einen Tunnel. Als es stockfinster ist, hört man ein schmatzendes Kussgeräusch, danach ein Klatschen, eine schallende Ohrfeige.
In dem Augenblick denkt das junge Mädchen: Schade, jetzt hat der nette junge Mann aus Versehen meine Mutter geküsst, und die hat ihm eine geknallt.
Die Mutter denkt: Recht so, jetzt hat der freche junge Mann meine Tochter geküsst, und sie hat ihm eine gescheuert.
Der Besatzungssoldat denkt: Jetzt hat der deutsche Junge das hübsche Frollein geküsst. Sie dachte, ich sei es gewesen. Und hat mir eine gelangt.
Und der junge Deutsche denkt: So, jetzt warte ich, bis der nächste lange Tunnel kommt, dann mach ich wieder ein Schmatzgeräusch und lange dem Besatzer eine.
Der Witz ist vielleicht nicht gut und zeigt eine niedrige Gesinnung. Aber er spiegelt wie kein anderer den Zeitgeist wider: Hübsche junge Mädchen lassen sich für Zigaretten und Nylons mit Besatzungssoldaten ein und beschwören damit den Sexualneid der zu kurz gekommenen deutschen Männer herauf.
Ebenso zeitgeistgerecht ist die Geschichte aus der Drogerie. Sie hält übrigens den Preis für eine Dose Nivea aus der Zeit nach der Währungsreform 1948 fest.
Ein Besatzungsoffizier betritt eine Drogerie und kauft sich eine Dose Niveacreme.
»Forty-five?« (Für die Pfeif?), fragt der Verkäufer.
»No, fors Gesicht!«, sagt der Ami.
Primitiver geht’s nicht. Aber das war für die Stammtische ein Brüller. Die Besiegten hatten viel zu kompensieren.
Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist eine Geschichte der Vertriebenen, der Flüchtlinge, der Ausgebombten, der aus der Stadt aufs Land Flüchtenden.
Die neue Republik, die Bundesrepublik von 1949 , war das Werk dreier Besatzungsmächte und eines Grundgesetzes, das sich die damals neuen Bundesländer durch Delegierte am Chiemsee gegeben hatten. Sie war auch das Resultat des Kalten Krieges, der Deutschland zweiteilte. Die Frontlinie lief mitten durch das Land. Der Kalte Krieg war für Deutschland Glück und Unglück zugleich, Glück im Unglück, da die neue Rivalität zwischen Ost und West die beiden Teile Deutschlands zu erwünschten und angestrebten Partnern der beiden antagonistischen Großmächte USA und UdSSR machte.
Die Staatsidee, von der die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland getragen wurde, war eine christlich abendländische, der erste Kanzler ein rheinischer Katholik. Die CDU / CSU schälte sich bald als die herrschende Kraft dieses westlich orientierten Staates heraus, dessen Zeitgeist restorativ war. Eine gewisse Bigotterie grundierte diesen Zeitgeist und war das Ziel fast aller politischen Kabaretts und Satiriker.
Die Witze dieser Zeit enthalten die Erfahrungen von Entwurzelten, die es in den katholischen Süden, also nach Bayern, verschlagen hatte.
Klein-Fritzchen aus Berlin hat es nach Oberbayern verschlagen. Dort in der Schule ist er stets schweigsam, zurückhaltend, verschlossen. Eben ein isoliertes Kind.
Die Lehrerin beobachtet das eine gute Weile mit pädagogischer Sorge und möchte ihn dann aus der Reserve locken, indem sie ihm eine ganz leicht zu beantwortende Frage stellt.
»Fritzchen«, fragt sie. »Was ist das? Es trägt ein rotes Fell, hat ein buschiges Schwänzchen, hüpft von Ast zu Ast und nährt sich von Eicheln und Nüssen.«
Fritzchen antwortet: »Wenn ick nach meinem gesunden Menschenverstand jehe, is dit ’n Eichhörnchen.« Pause.
»Aber wie ick den Laden hier kenne, is dit sicher wieder dit liebe kleine Jesulein!«
Der zweite spielt unter Mädchen.
In der Handarbeitsstunde fragt die Klassenlehrerin ihre zehnjährigen Mädchen, was sie denn später für einen Beruf erlernen und ergreifen wollten.
»Stewardess!«, sagt die eine.
»Sekretärin!«, die zweite.
»Arzthelferin!«, eine weitere.
Schließlich sagt eines der Mädchen: »Ich möchte Prostituierte werden!«
»Was möchtest du werden?«, sagt die Lehrerin und erbleicht.
Laut und fest wiederholt das Mädchen: »Prostituierte! Nutte! Hure! Das möchte ich werden.«
Die Lehrerin beendet abrupt den Unterricht, schickt die Mädchen in die Pause und stürzt zum Schulleiter.
»Herr Direktor«, stammelt und stottert sie. »Es ist etwas Schreckliches passiert! In meiner Klasse, im Handarbeitsunterricht,
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