Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
aus, dass sich nur noch die Kernbesetzung in Rowanoak Hall aufhielt – Adeka, möglicherweise, und Breed sowie ein paar Assistenten und Bodyguards. Um sich zu vergewissern, müsste er ins Haus eindringen und selbst nachzählen. Aber nicht heute Abend, dachte er. Sobald er hinter diese Mauern gelangt war, musste er mit allem und allen rechnen. Vielleicht würde Blessing ihm mehr über das Personal erzählen können, das auch nach Toresschluss im Haus blieb. Bond startete den Wagen und fuhr nach Washington zurück. Er hatte einen Mordshunger – seit dem Frühstück hatte er nichts zu sich genommen.
9. Blessing
Bond erkundigte sich an der Rezeption des Fairview nach dem besten Steakrestaurant von Washington. Man empfahl ihm das Grill an der H Street. Bond fuhr mit dem Taxi dorthin und ließ sich einen Tisch für eine Person geben. Er wusste genau, was er wollte. Während an der Bar sein Wodka Martini gemixt wurde, besprach er sich mit dem Oberkellner – nachdem er ihm die obligatorischen zwanzig Dollar zugesteckt und die kleine Unwahrheit erzählt hatte, es wäre sein Geburtstag, außerdem sei er in Essensfragen sehr pingelig. Und das alles nur, damit seine Wünsche detailgetreu erfüllt wurden.
Zehn Minuten später führte man Bond zu einem Ecktisch. Die Decke war aus dickem weißem Leinen, das Silberbesteck schwer und altmodisch und die Gläser funkelten vor Sauberkeit. Das Grill an der H Street bot die clubähnlichen Qualitäten eines viktorianischen Steakhouses, die man für das Amerika des 20. Jahrhunderts interpretiert hatte: dunkle Holztäfelung, Wandleuchter mit schwacher Wattleistung, goldgerahmte Ölgemälde, die Sportszenen und Grenzschlachten zeigten, die eine oder andere ausgestopfte Jagdtrophäe an der Wand, ein schwarz-weiß karierter Marmorboden und in Würde ergraute Herren, die mit langen weißen Schürzen die Tische bedienten.
Die Flasche Chateau Lynch Bages 1953 , die Bond vorab bestellt hatte, war bereits dekantiert. Als er Platz genommen hatte, wurde ein Tablett aus lackiertem Holz mit allen erforderlichen Zutaten für eine Vinaigrette nach seinem persönlichen Geheimrezept gebracht: je eine kleine Karaffe Olivenöl und Rotweinessig, ein Glas Dijon-Senf, eine halbe Knoblauchzehe, schwarzer Pfeffer aus der Mühle, ein Schälchen Zuckerraffinade, eine Schüssel, ein Teelöffel sowie ein kleiner Schneebesen, um die Zutaten miteinander zu verrühren. *
Bond bereitete rasch die Vinaigrette zu, dann wurden ihm sein Filet Mignon – à point – und eine Schüssel Salat serviert. Das Filet Mignon hatte er bestellt, weil er kein Steak wollte, das über den Tellerrand ragte. Außen war es schön dunkel gegrillt, innen rosig, aber nicht blutig. Bond vermengte Sauce und Salat, würzte das Fleisch und trank den ersten Schluck Bordeaux. Während er aß und trank, gab er sich der Vorstellung hin, das Leben wäre schön und die Welt auf dem richtigen Kurs – war das nicht Sinn und Zweck guten Essens? Er rundete seine Mahlzeit mit einer halben Avocado ab, in die er den Rest seiner Vinaigrette kippte. Danach trank er einen Calvados, rauchte eine Zigarette und bat um die Rechnung. Nachdem sein kulinarischer Hunger gestillt war, machte sich ein anderer Hunger bemerkbar. Er gierte nach Blessing, nach ihrem schlanken, agilen Körper. Nach neuen, präziseren Anweisungen, die sie ihm erteilen sollte.
Bond schlenderte in die Lobby der Blackstone Park Lodge, grüßte Delmont, der an diesem Abend Dienst hatte, und ging in sein Zimmer. Er wartete, bis es zehn war, lief wieder in die Lobby hinunter und durch die Hintertür auf den Parkplatz. In Blessings Suite brannte Licht. Bond fieberte ihrem Wiedersehen heftig entgegen.
Er klopfte. Keine Antwort. Wieder klopfte er und sagte: »Blessing, ich bin’s – James.« Immer noch keine Antwort. Er wiederholte sein Sprüchlein mit lauterer Stimme. Nichts. Er ging zum Nachtportier am Hintereingang und versuchte es telefonisch. Es klingelte und klingelte – niemand nahm den Hörer ab. Seltsam. Der Nachtportier hatte seinen Dienst gerade erst angetreten und konnte ihm keine Auskunft geben. Vielleicht hatte Blessing ihr Zimmer in aller Eile verlassen und vergessen, das Licht auszumachen.
Bond lief in die Lobby des Hauptgebäudes und wandte sich an Delmont.
»Hey, Mr Fitzjohn, was kann ich für Sie tun?«
Bond zog ihn unauffällig beiseite und senkte die Stimme.
»Delmont, kann ich Sie um einen Gefallen bitten? Ist meine Frau zurückgekommen? Sie wissen schon – die
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