SOLO mit PINK LADY - MIT 16 DIE WELT EROBERT
Ausguck an Deck gebraucht wurde, versteckte ich mich unter dem Salontisch – und tat so, als würde ich mich um Maggie kümmern.
Das Leben auf dem Wasser brachte Begegnungen mit allen möglichen Charakteren und alten Salzbuckeln mit sich, die in den Clubs, Häfen und auf den Werften rumhingen. Es war faszinierend und oft auch inspirierend, ihren Geschichten von der See zu lauschen. Ich muss allerdings zugeben, dass es mich irrsinnig ärgerte, wenn sie mich nicht beachteten, weil ich ein Mädchen und zudem ein so hageres junges Ding war. Wenn du auf dem Wasser lebst, dann gilt das ungeschriebene Gesetz, dass du einlaufenden Schiffen immer beim Festmachen hilfst und dessen Leinen annimmst. Weil ich aber ein kleines Mädchen war, wurden meine Hilfsangebote in der Regel völlig ignoriert und die Leinen stattdessen dem nächsten erwachsenen Mann in meiner Nähe zugeworfen. Ich empfand das als unglaublich frustrierend. Ich war genauso gut imstande, die Leinen korrekt anzunehmen, wie jeder andere auch. Ich hasste es, nach meiner äußerlichen Erscheinung beurteilt zu werden. Und danach, was die Leute kleinen Mädchen so zutrauen.
Zurückweisungen wie diese hätten andere Menschen vielleicht zur Aufgabe des Segelsports bewegt. Mich aber heizten sie nur noch mehr an. Vielleicht lag es daran, dass ich bereits wusste, was ich konnte. Obwohl ich noch jung war, ließ ich es nicht zu, dass andere Menschen mein Selbstwertgefühl ramponierten. Ich hatte lange Zeit mit dem Lesen und meiner Rechtschreibung zu kämpfen (um ehrlich zu sein, habe ich mit der Rechtschreibung bis heute Probleme), aber ich hatte Glück: Meine Mutter und die Lehrer in der Schule haben meine Dyslexie früh erkannt. Dyslexie ist eine neurologisch bedingte Störung, auch Lese-Rechtschreib-Schwäche genannt. Sie bedeutet, dass man Probleme hat, den Zusammenhang zwischen der Schreibweise von Worten und ihrem Klang herzustellen. Es ist eine Form von Lernschwäche, bei derBetroffene Schwierigkeiten mit dem Lesen, dem Buchstabieren und manchmal auch mit der Mathematik haben.
Bei manch einem kann das arg am Selbstbewusstsein nagen. Ich aber hatte Glück, weil nie irgendjemand mir gegenüber eine große Sache daraus gemacht hat. Ich fühlte mich weder abgestempelt noch dumm, weil ich nicht richtig lesen konnte. Ich weiß, dass auch andere Kinder davon betroffen sind. Meine Mum arbeitete einfach dagegen an, indem sie meine Liebe zu Büchern unterstützte und uns allen vorlas. Sie half mir und gab mir Zeit, meinen eigenen Weg zu finden.
Meine Mutter sagte immer, dass eines Tages ein Lichtblitz mein Hirn erhellen und meinen Kampf mit dem Lesen abrupt beenden würde. Sie behielt Recht. Mein Lieblingsbuch hieß »Das kleine weiße Pferd«, und ich habe Mama wieder und wieder angebettelt, es mir vorzulesen. Eines Tages sagte sie: »Jess, du kennst es doch längst auswendig. Warum liest du es nicht selbst?« Das tat ich. Etwas unsicher noch, aber schon bald wendete ich mich auch anderen Geschichten und neuen Büchern zu. Meine neue Leidenschaft eröffnete mir die Chance, jederzeit in eine andere Welt zu flüchten, wenn ich Lust dazu hatte. Heute lese ich liebend gern. Allerdings bin ich nicht sicher, ob meine Rechtschreibung jemals einigermaßen anständig sein wird. Trotzdem gelang es mir immer, gute Noten in Englisch zu bekommen (oder zumindest hätte ich sie bekommen, wenn sie mir nicht immer die Punkte für die verspätete Abgabe abgezogen hätten). Ich habe eben einfach mehr Zeit und Mühe in meine Arbeiten investiert … Glücklicherweise habe ich heute jemanden, der meine Blogs überprüft, bevor sie online gehen. Da muss ich mir also keine großen Sorgen machen. Im Stillen fürchte ich aber, dass hinter meinem Rücken über meine erheiternden Fehler gekichert wird.
Während der Vorbereitungen auf meinen Törn musste ich sehr viel schreiben. Ich habe Menschen per E-Mail um Rat gebeten, Sponsoren angeschrieben und eine Bedarfsliste nach der anderen erstellt. Das Verfassen meiner Blogs hat mir zusätzliche Sicherheit gegeben und mich mehr gelehrt als jeder in meinem Leben absolvierte Rechtschreibtest.Dieses Buch zu schreiben entpuppte sich als weitere große Herausforderung. Aber glaubt mir: Es wird dechiffriert und Korrektur gelesen bei euch ankommen!
Vielleicht hat es mich sogar als Mensch stärker gemacht, dass ich mich mit dieser Art Lernschwäche auseinandersetzen musste. Und egal, ob irgendwelche Segler meine kindlichen Hilfsangebote ignorierten
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