Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
…
David war zurück in Rays Pick-up gestiegen, als die Ziegen anfingen durchzudrehen. Drei von ihnen rammten ihre Hörner abwechselnd in das Blech der Seitentüren. Rays Wagen hatte keine Heckklappe, und so war ein zotteliger Ziegenbock auf die Pritsche geklettert und stand nun zwischen rostigen Ketten, Werkzeugen und Brettern. Mit einem Stoß würde der Bock die Scheibe durchstoßen.
Doch das ging schon in Ordnung.
David hatte verstanden.
Es war gar nicht der Wanderprediger, der hier das Sagen hatte. Es war Gordon Smith, der in geheimnisvoller Weise die Macht seines Ahnen an sich gerissen hatte. Als Kenner der Mythen und Rituale hatte er die schiefe Kanzel erklommen, die in Solom über Leben und Tod entschied.
In die Wege geleitet jedoch wurde all das schon vor langer Zeit, von der großen, unsichtbaren Hand, die oben am Himmel herrschte.
Der Herr mit der göttlichen Hand. Der Herr, der David nicht als würdiges Opfer befunden hatte, löste nun eine blinde Wut in ihm aus. Er hatte seinen Bruder verloren, weil Gordon Smith auf einmal mit übernatürlichen Kräften ausgestattet war. Ziegen waren über seine Nachbarn und Gemeindefreunde hergefallen. Unter den Opfern waren zwar auch einige Free Will Baptisten und Southern Baptisten. Doch Gott füllte die guten Plätze im Himmel mit jenen, die ihr Leben lang auf Knien gerutscht waren. Nicht mit jenen, die seine Gnade ohne Zweifel annahmen oder das Verlangen nach dem Eingreifen Sterblicher verspürten.
Auf der metallenen Pritsche seines Pick-ups war das Scharren von Ziegenhufen zu hören. Dann zerbarst die Heckscheibe. Glasscherben prasselten in seinen Nacken. Die Ziege blieb mit ihren Hörnern in der Gewehrhalterung stecken, und David lehnte sich zur Seite, um den gierigen Kiefern des Tieres zu entkommen. Der Atem der Ziege stank nach schlechtem Blut und Schwefel.
Der Hilfssheriff war zu Boden gegangen. Zwei Ziegen zerrten an ihm und zogen in unterschiedliche Richtungen, wie zwei Hunde, die sich um das Gekröse eines Schweins streiten. Die Pistole des Hilfssheriffs lag außerhalb des Lichtkegels der Scheinwerfer, doch bei jeder Umdrehung des Blaulichts wurde das Licht im Lauf reflektiert. David war sich nicht sicher, ob Gott von seinen Schützlingen wirklich solche Entscheidungen forderte, doch es musste einen Grund geben, warum sich die Waffe in seiner Reichweite befand.
Er stieß die Wagentür auf und stürzte sich auf die Pistole. Eine Ziege ließ den Arm des Hilfssheriffs los, der auf den blätterübersäten Boden fiel und dort reglos liegenblieb. Die Ziege warf den Kopf in den Nacken und ging zum Angriff über, die krummen Hörner auf David gerichtet. David griff nach der Waffe. Er hatte keine Ahnung, ob sie entsichert war, doch dann fiel ihm ein, dass der Hilfssheriff mindestens einmal damit geschossen hatte. Er hielt die Pistole auf Brusthöhe und schoss wild um sich. Drei Mal traf er die Ziege in Rücken und Hals. Doch nichts passierte. Sie rannte einfach weiter. In Nullkommanichts hatte sie die drei Meter zurückgelegt, die sie von David getrennt hatten. Dann traf ihn der steinharte Schädel direkt an der Brust. Er fiel um und lag benommen auf den feuchten Blättern der Waldlichtung. Über dem blinkenden Blaulicht leuchteten die Sterne und der aufgedunsene Mond.
Und hoch über allem das Auge Gottes, das auf sie herabblickte.
In weiter Ferne nahm er das Trommeln von Hufen wahr. Über ihm schwebten große, verschwommene Körper. Gerade, als er wieder zum Luftholen kam, bohrten sich die Zähne in seine Kehle.
Wir sind das Brot und die Fische, um die anderen zu nähren , dachte er bei sich. Der Schmerz aus seiner verletzten Brust durchströmte seinen Körper. Und während sich weitere hungrige Mäuler über ihn hermachten, zauberte ein letzter Gedanke ein Lächeln auf seine Lippen:
Endlich wurde ich doch noch für würdig befunden.
53. KAPITEL
Sue schwang ihr Bergsteigerbeil wie einen Zauberstab vor sich her. Die drei Ziegen, die sie umzingelten, zeigten sich davon jedoch nicht beeindruckt. Auch wenn es im Nachhinein absurd erschien, so war es doch ihre Idee gewesen, die Ziegen so lange zu verscheuchen, bis Sarah von der Motorhaube des Jeeps wieder herunter war. Doch Sarah war gewieft genug, sich selbst zu retten. Wer so alt geworden war, hatte einfach einen guten Selbsterhaltungstrieb.
Sue nahm kaum wahr, was in der Mitte der Lichtung vor sich ging. Sie konzentrierte sich voll und ganz darauf, Sarah in Sicherheit zu bringen und
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