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Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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Kopf, so dass Alex sein Gesicht sehen konnte. Alex hatte entweder das furchteinflößende Antlitz einer mystischen Gottheit oder das diabolische Grinsen eines indianischen Schamanen erwartet. Doch aus dieser Entfernung konnte Alex nur erkennen, dass der Alte ziemlich kränklich aussah. Seine Haut war bleich und schlaff. Und doch huschte ein Lächeln über sein teigiges Gesicht, als er in den Himmel schaute und die Tortur über sich ergehen ließ.
    Die Ziegen wurden immer verrückter. Sie rissen mit ihren Zähnen an den Kleidern des alten Mannes. Fast hätte Alex seinen geheimen Beobachtungsposten verlassen und wäre ihm zu Hilfe geeilt. Hätte der Alte irgendein Zeichen von sich gegeben, dass ihm das alles hier unangenehm war, dann hätte Alex alle seine Pfeile auf die wilden Ziegen geschossen. Doch weil er so schrecklich gelassen tat, blieb Alex einfach sitzen und schaute dem abstrusen Schauspiel zu.
    Einem Kiffer traute man meist nur unentschlossene, wirre Reaktionen zu. Aber Alex hielt nichts von solchen Vorurteilen. Er wusste, dass er ein Kiffer war, und das stellte ihn einige Stufen über die Typen, die seinen Stoff kauften. Das hier war bestimmt ein besonders fieser Trick der Drogenfahndung. Die Gorillas scheuten keine Kosten und Mühen, um einen einzelnen steuerbefreiten Freidenker dranzukriegen. Denn solche Leute brachten Revolutionen ins Rollen.
    Die Ziegen zerrten so lange, bis die Flanellunterwäsche des Alten den Geist aufgab. Plötzlich biss eine Ziege den Mann in die Seite. Er hätte schreien müssen, doch sein Lächeln klebte selbst dann noch auf seinem Gesicht, als die Ziege ihren Kopf hin und her warf, um das Fleischstück herauszureißen. Eine weitere Ziege kam und schnappte sich das weiche Stück direkt unter dem Bauchnabel. Als sie wegging, hing ihr ein schlickriger Fleischfetzen aus dem Maul.
    Alex krallte sich an den Baum, der vor ihm stand. Die Rinde kratzte an seiner Wange, und sein Atem rasselte so laut, dass er sicher war, dass die Ziegen ihn hören konnten. In seinem Kopf spulte sich ein Mantra ab, begleitet vom dumpfen Pochen seines rasenden Pulses: Das hier ist nicht echt. Nicht echt, nicht echt, nicht echt. Zum Schluss kam das Crescendo: Verdammt noch mal nicht echt.
    Aus den Eingeweiden des Alten spritzte kein Blut. Stattdessen lief eine milchige Flüssigkeit aus ihm heraus, dick wie Quark. Die Ziegen machten sich über ihn her. Eine stieß mit ihren Hörnern in seinen linken Oberschenkel, so dass er auf die andere Seite taumelte. Er streckte einen Arm aus, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, und eine dreckigbraune Ziege biss sich an seinem Handgelenk fest. Sie zerrte den Mann zu Boden. Sein schwarzer Hut flog ihm vom Kopf und flatterte auf das zertrampelte Gras. Jetzt, wo der Mann auf die Knie gesunken war, kletterten die Ziegen auf ihn drauf und zerfleischten ihn an Hals und Rücken. Der Alte gab keinen einzigen Ton von sich.
    Je mehr sich die Mäuler der Ziegen füllten, umso leiser wurde ihr Blöken. Sie labten sich an der Dickmilch, die aus dem zerfleischten Körper des Alten sickerte.
    Sein letzter Gang. Dead Man Walking ging nirgendwo mehr hin.
    Alex erwachte aus dem Trancezustand, in den er beim Beobachten des bizarren Spektakels verfallen war. Das hier war keine psychedelische Vision, sondern ein mächtiger Prügelschlag der Wirklichkeit. Er schnappte sich seinen Pfeil und Bogen, trat aus seinem Versteck hervor und rief: »He!«
    Die Ziegen ließen sich davon nicht stören. Der Alte lag unter den Tieren begraben, versteckt unter der schmutzigen Masse haariger Viecher, die wie in einem Fressrausch waren. Der Bock mit dem Bärtchen brach aus der Herde hervor, in seinem Maul schwang ein Stück Fleisch wie eine Trophäe. Es sah aus wie die Wange des Mannes. Aus der zerfetzten Haut drang kein Blut, nur ein paar Tröpfchen milchig-weißen Safts. Eine andere Ziege trippelte davon und zog, wie es schien, ein Stück Unterarm hinter sich her. Eine dritte tauchte ihren Kopf in die Eingeweide des Alten und kam mit einem dicken Darmstrang wieder heraus, der ihre stumpfen Hörner wie ein satanischer Christbaumschmuck krönte.
    Alex widerstand dem Würgereiz. Die Wirkung seiner morgendlichen Wasserpfeife ließ langsam nach. Selbst sein letzter Joint, vollgestopft mit erstklassigem samenlosen, harzig-klebrigen Gras, verlor langsam an Wirkung. Das Gras, das er anbaute, war wirklich allererste Sahne, doch kein Stoff der Welt war hart genug, um das irrsinnige Schauspiel zu vernebeln, das sich

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