Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
dein Arsch nicht so fett wäre, würden sie dich vielleicht auch nicht so anstarren.«
Bevor Arvel an jedem Wochentag abends Fernsehen schaute – also ungefähr bis vor fünf Jahren – hatte er nie ein Wort über ihre Figur verloren. Doch seitdem hatte er kaum noch etwas Anderes im Sinn. Sie wünschte, sie könnte in ihrem Baumwollkleid einfach schrumpfen, doch so war sie nun einmal, in voller Wucht und Größe. »Das fing an, als die Neue hier eingezogen ist«, sagte sie. »Und sie hecken wie die Karnickel.«
»Du weißt doch, wie rallig die Böcke sind«, meinte Arvel. »Sie stecken ihr Ding überall rein. In alles, was wackelt, oder auch nicht.«
Ein Werbespot pries ein Mittel gegen Erektionsstörungen an. Ein klappriger alter Typ saß in der Wanne mit einer Frau, die seine Tochter hätte sein können. Arvel stellte mit der Fernbedienung den Ton leiser. »Immer hast du’s mit dieser neuen Frau. Wenn du meine Meinung wissen willst, dann bist du einfach nur sauer, weil sie dünner ist als du.«
Jetzt war Betsy gleich doppelt beleidigt. Wie die Frau des Nachbarn aussah, das ging Arvel überhaupt nichts an. Er hatte nicht zu glotzen. Auch wenn Betsy jede Chance dazu nutzte.
»Sie ist auch nicht dünner als Gordons erste Frau, und über die hast du nie ein Wort verloren«, schmollte Betsy.
»Rebecca war anders«, erwiderte Arvel. Sein Blick huschte zurück zum Bildschirm, damit er auch ja nichts verpasste. »Sie war von hier.«
»Ja, war sie«, gab Betsy zurück. »Wohlgemerkt: war!«
»Fang bloß nicht wieder damit an.«
»Sie war einfach immer zu schnell unterwegs auf diesen engen Straßen. Verdammt, Arvel, ich weiß, dass sie hübsch ein paar Männern den Kopf verdreht hat, wahrscheinlich auch dir, aber die Wahrheit ist, dass sie bekam, was sie verdient hat.«
»Als ob du wüsstest, was mit ihr passiert ist!«
»Ich sag doch überhaupt nichts. Der Sheriff und die Rettungssanitäter meinten, es war ein Unfall, und sie müssen es besser wissen als ich.«
»In Solom sind über die Jahre einige umgekommen«, erwiderte Arvel. »Vergiss es einfach.«
»Ich kann es aber nicht vergessen.«
»Du denkst wohl, es war der Wanderprediger?«
»Ich weiß es nicht.«
Die Werbung war vorbei und Arvel drückte auf einen Knopf seiner Fernbedienung. Der Ton hallte wieder aus den Lautsprechern, und ein sonnengebräunter Typ mit gegelten Haaren erklärte, warum einer der Teilnehmer aus der Show geflogen war. »Es riecht verbrannt«, bemerkte Arvel.
Der Auflauf. Mist. Bestimmt war die Kruste verbrannt. Betsy hatte vergessen, die Backzeit einzustellen. Mit jedem Tag wurde sie vergesslicher. Sie schob es darauf, dass sie sich zu viele Gedanken um die Nachbarn machte. Wenn man einen vermeintlichen Ehefrauenmörder neben sich wohnen hat, zusammen mit einer hexenäugigen Stieftochter, dann konnte es schon mal passieren, dass die Gedanken ein wenig aus der Bahn gerieten. Und wenn man dann noch den Wanderprediger in Betracht zog, musste man sich wundern, dass in Solom überhaupt noch jemand ein Auge zutun konnte.
Sie rannte aus dem Wohnzimmer in die Küche, wo die Ziege schon auf sie wartete.
16. KAPITEL
Die Nacht brach mit aller Wucht über Solom herein. Für Odus gab es keinen besseren Platz, um der Sonne beim Sterben zuzusehen, als das kühle Ufer am Blackburn River. Er hatte zwei Regenbogenforellen im Eimer, und im kalten Wasser schwammen drei Flaschen Miller High Life Bier. Die Mücken stachen schon seit Wochen nicht mehr, und selbst wenn sie verzweifelt genug gewesen wären, sein Blut zu trinken, dann hätten sie doch nichts weiter als hochprozentigen Stoff aus seinen Adern gesaugt. Die Flasche Old Crow Whiskey war so gut wie leer. Ihm stand ein langer Weg nach Windshake bevor, wenn er seinen Vorrat wieder auffüllen wollte. Er verfluchte Gott und die Jungfrau Maria dafür, dass der Verkauf von Alkohol im Landkreis Picket so stark reglementiert war.
Er stand hinter den Resten des alten Dammes. Der Erdwall war stückweise noch vorhanden, so dass das Wasser in kleinen Rinnsalen dazwischen hindurchsprudelte. Die Forellen sonnten sich gerne zwischen den Steinen im gurgelnden Wasser, wo der Sauerstoffgehalt hoch war und ihnen das Futter wie Regenwürmer vom Himmel ins Maul fiel. Odus hängte seinen Angelhaken ins Wasser. Er musste die Rolle ordentlich festhalten, weil der Köder sonst in Windeseile flussabwärts getrieben wäre.
Der Tante-Emma-Laden auf dem Berg oben war dunkel. Das war ungewöhnlich. So
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