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Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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Schattens« und so weiter.
    »Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen«, murmelte er. Draußen vor der Tür stand die klare Nacht. Am Firmament funkelten die Sterne. Die, die hoch am Himmel standen, sahen aus wie kleine Löcher in einer schwarzen Gardine. Die Bäume auf dem Friedhof lehnten schief im Wind, Blätter scheuerten an der Rinde. Dort, wo sich der Baumbestand lichtete, huschten kleine Schatten zwischen den Baumstümpfen umher. Ein feiner Nebel lag wie ein feuchtgrauer Kranz über den Grabsteinen.
    Es war ein besonderer Nebel, anders als normaler Herbstnebel. In jedem Herbst zählten die Leute aus den Bergen, wie viele Spätnebel es gab. Daraus leiteten sie dann ab, wie oft es im folgenden Winter schneien würde. Nebel sollte eigentlich grau-weiß sein. Durch diesen jedoch zogen sich schwarze Schmutzspiralen, und die Luft stank nach verfaulten Eiern.
    Es schien, als hätte sich der Nebel ausschließlich auf dem Friedhof ausgebreitet. Als ob er etwas verdecken wollte. Am dicksten war der Nebel an der Stelle, an der die Überreste von Harmon Smith begraben waren. Die Teile, die von der längst vergangenen Schande und vom Triumph der Free Will Baptisten zeugten. Nur dass der Mord an Harmon Smith ein Triumph für den Herrn gewesen war. Ein Grund zur Freude. Warum also stieg dann stinkender Qualm aus dem Grab des verrückten alten Priesters?
    Mose hatte keine Angst. Harmon war nach Solom zurückgekehrt, so viel stand fest. Seine Besuche waren regelmäßig wie die der Zikaden, die jeden Sommer wiederkehrten. Harmon drehte seine Runden. Nur Gott allein wusste, ob Harmon auf der Suche nach seinem Pferd war oder seine letzten Ruhestätten besuchte. Und Gott würde es uns nicht verraten. Zumindest noch nicht. In den fünfundsechzig Jahren, die Mose jetzt auf Gottes Erde weilte, hatte der Herr ihm noch nicht allzu viele Gründe seines Tuns verraten.
    Alles, was Gott verlangte, waren Gottvertrauen und Glaube. Und manchmal schien es ihm ziemlich egal zu sein, wie er seine Schäfchen bei der Stange hielt. Naturkatastrophen, Hungersnöte, Unschuldige, die grausam sterben mussten – all das konnte man auch als Wunder und nicht als Tragödien betrachten. Das eigensinnige Herumtrollen der Seele von Harmon Smith war ebenso geheimnisvoll wie passend. Schließlich durchzogen die Wege des Teufels auch die Seiten der Bibel, und zwar seit Menschengedenken.
    Mose spürte das Verlangen, nach Harmons Grab zu sehen. Vielleicht war dies eine Glaubensprüfung, die Gott ihm auferlegte. Genauso wie die Gelegenheit, mit Ginny Lynn Rominger fremdzugehen. Das war zwar schon ein paar Jahrzehnte her, aber er hatte sich nicht verführen lassen. Ebenso wie er in seiner Jugend die Flasche von sich gestoßen hatte, als man sie ihm anbot. Und wie er nie mehr als zwanzig Dollar aus der Kollekte nahm, obwohl er der Einzige war, der die Höhe der Einnahmen kannte. Als er mal ein Straßenschild umgefahren hatte, war er am nächsten Tag an die Stelle zurückgekehrt, um es wieder aufzurichten, so dass es aussah wie neu. Er hoffte, dass er all diese Glaubensprüfungen gut bestanden hatte. Schließlich wollte er das Himmelstor mit weißer Weste durchschreiten.
    Er stapfte hinein in den Nebel. Er redete sich ein, dass er keine Angst hatte, doch er spürte, wie sich seine Faust um den Hammerstiel krallte. Das Gras unter seinen Füßen fühlte sich an wie ein nasser Schwamm. Der süße Duft des Grüns kämpfte mit dem widerlichen Gestank des Nebels. Als er in der Mitte des Friedhofs stand, irgendwo zwischen den Grabstätten der Harpers und der Blevins, sah er die Tiere aus dem Wald kommen.
    Ziegen.
    Die schwarzbraun gefleckten Tiere mit den krummen Hörnern liefen zielstrebig auf irgendetwas zu. Ihre seltsamen Augen funkelten im Licht der Sterne. Fast musste Mose laut lachen. Davor hatte er Angst gehabt? Die Herde war bestimmt irgendwo ausgebrochen und hatte das saftige Gras, die Blumen und Sträucher des Kirchhofs gerochen.
    Er sah zu, wie die Ziegen den Friedhof umzingelten. Mose war vielleicht zehn Schritte von Harmons Grab entfernt, doch angesichts dieser neuen Eindrücke hatte er den Wanderprediger kurz vergessen. Die Ziegen waren ganz still. Sie standen mit erhobenen Köpfen und gespitzten Ohren da, als ob sie auf das Kommando eines unsichtbaren Befehlshabers warteten. Als sie den Kreis geschlossen hatten, so dass Mose keinen Rückzug zur Kirche mehr antreten konnte, trat eine dunkle Gestalt zwischen den Bäumen

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