Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
Wanderprediger erzählt hatte. Vielleicht hatten die Alten gewusst, wie man ihn fernhält. Aber das war wenig wahrscheinlich, schließlich machte Harmon Smith nach all diesen Jahren noch immer in Solom Station.
Die anderen Bergdörfer, in denen Harmon früher vorbeigeschaut hatte, hatten wahrscheinlich alle schon für ihre Schuld durch diverse Unglücks- und Todesfälle gebüßt. Odus wettete, dass sich auch durch Dörfer wie Balsam, Parson’s Ford, Windshake, Rocky Knob und Crowder Valley eine blutige Hufspur zog, zumindest alle siebzehn Jahre oder so. Denn alle siebzehn Jahre pflegte Harmon Smith zu erscheinen, aus welchem Grund auch immer.
Odus hatte keinen Sinn für Zahlen, und er konnte keinen Grund erkennen, warum die Zahl siebzehn etwas Besonderes sein sollte. Aber die Leute machten den Wanderprediger auch für den Tod von Rebecca Smith verantwortlich, und dieses Ereignis lag nur fünf Jahre zurück. Der Wanderprediger hatte ein riesiges Territorium, es reichte von Ost- Tennessee bis nach Virginia. Selbst ein Mann, der auf einem Höllenpferd ritt, konnte nur eine bestimmte Anzahl von Meilen pro Tag zurücklegen.
Odus zog sich einen dreckigen Overall an, der schon ganz steif vor Schmutz war. Aber er hatte ihn ein paar Tage auslüften lassen. Er machte sich ein paar Rühreier und wühlte im Küchenschrank. Wie jeder Alkoholiker wusste er immer genau, wie viel Schnaps er noch im Haus hatte. Er wusste auch, dass es sonntags schwer werden würde, mehr zu beschaffen. Außer im Schwarzhandel, aber dort musste er ein Vermögen dafür auf den Tisch blättern.
Odus hatte noch einen halben Liter Old Crow versteckt. Der Bourbon schimmerte goldglänzend im Glas, fast schon ölig sah er aus und irgendwie dicker als Wasser. Eigentlich hatte er ihn gestern noch trinken wollen, nachdem Harmon geschniegelt und gestriegelt in den Gemischtwarenladen spaziert war. Als ob er gewusst hätte, dass sie über ihn sprachen und sie ein bisschen foppen wollte.
Aber sonntags schmeckte der Schnaps einfach besser. Außerdem konnte angetrunkener Mut gut behilflich sein, wenn einen der echte Schneid verließ.
Denn Odus wollte den Wanderprediger zur Strecke bringen.
Nachdem Harmon auf sein Pferd Old Saint aufgestiegen und im Dunkel der Nacht verschwunden war – zu welchen Pflichten auch immer derartige Wesen gerufen wurden –, war Odus mit den anderen auf die Veranda gegangen. Sie waren erschüttert gewesen, außer der alten Sarah, die ja schon einige von Harmons Besuchen miterlebt hatte. Allerdings habe sie ihn noch nie so nah gesehen, sagte sie. David Tester hatte natürlich große Worte geschwungen. Er hatte aus der Bibel zitiert und aus Büchern, von denen Odus noch nie etwas gehört hatte. Darin kamen Namen vor wie Nehemiah oder Maleachi, aber er hatte genauso viel Angst wie die anderen.
David hatte Maleachi zitiert mit weisen Worten aus alten Zeiten, als jeder Fiebrige, der einen Bart und eine Schiefertafel besaß, zum Propheten aufsteigen konnte: »Denn siehe, es kommt ein Tag, der brennen soll wie ein Ofen, da werden alle Verächter und Gottlosen Stroh sein.« Und dann erzählte David, wie der tote Wanderprediger aus der Bergpredigt im Evangelium des Matthäus zitiert hatte.
Odus fühlte sich nicht wie ein Verächter. Er hatte zwar die Regierung beschissen und große Unternehmen und reiche Touris aus Florida, aber einen richtigen Menschen hatte er noch nie hinters Licht geführt. Sein guter Ruf als Handwerker beruhte darauf, dass man seinem Wort trauen konnte. Er hielt, was er versprach, und er kam auch niemals zu spät. Er ging fair mit den Leuten um und erwartete das auch von anderen. Das war mehr, als Odus selbst von Gott behaupten konnte. Zumindest nach dem zu urteilen, was er erlebt hatte. Deshalb konnte er sich auch nicht erklären, warum der Herr so etwas wie den Wanderprediger auf Solom loslassen sollte. Die meisten von hier waren doch ehrliche, gottesfürchtige Kirchgänger.
Und so war es auch völlig egal, ob Harmon durch das Tor der Hölle zu ihnen heraufgestiegen oder eine goldene Treppe heruntergeritten war. Das Tier – egal ob Höllenhengst oder nicht – hatte Spuren auf dem schlammigen Parkplatz hinterlassen. So konnte Odus den Wanderprediger verfolgen. Mit der Taschenlampe war Odus den Hufabdrücken nachgegangen, bis sie auf dem Asphalt der Railroad Grade Road verschwanden. Also standen die Chancen ganz gut, dass Harmon sich im Wald versteckte. Wahrscheinlich oben auf seinem alten Grundstück am Fuße des
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