Solomord
mich auch interessieren«, er tippte mit seinem Zeigefinger gegen das Glas einer Vitrine und hinterließ dabei einen hässlichen Fettfleck. »Was soll es denn kosten?«
»300 Euro.«
Brandt spitzte seine Lippen und stieß einen leisen Pfiff aus.
»Nu komm mal erst mal und schau dir die Ware an. Der Neue von Trix ist echt ’ne Wucht!«
Er folgte dem Verkäufer zurück zum Tresen. Dort lagen bereits die von ihm bestellten Waren. Ein paar Gleise und Weichen, einige Signale und der originalgetreue ›Zug zum Flug‹, eine absolute Neuheit von Trix. Vorsichtig nahm er das Wagenset aus der Plastikverpackung und drehte es in seinen Händen.
»Toll, echt toll!«, bestätigte er begeistert. »Muss ich gleich daheim ausprobieren.«
»Das können wir auch hier.«
Der Verkäufer nahm das Wagenset und eilte damit zur Probestrecke, die sich ebenfalls im hinteren Teil des Ladens befand. Behutsam gleiste er die Wagen auf und setzte eine E-Lok der Baureihe 110 davor, die zusammen mit dem Set auch im Katalog abgebildet war.
Langsam drehte er am Trafo und der Miniaturzug setzte sich in Bewegung. Begeistert beobachtete Brandt, wie die Wagen über die Gleise surrten. Sein Gegenüber war mindestens genauso fasziniert.
»Und schau mal die Lichter. Wie im Original.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf die leuchtenden Punkte, die je nach Fahrtrichtung der Lok zwischen Spitzensignal und Schlusslicht wechselten. Brandt nickte.
»Die nehme ich auch gleich mit.«
Er ließ sich die Einkäufe zur Kasse tragen und zahlte.
»Bis demnächst«, verabschiedete er sich und verließ gut gelaunt den Laden.
Lore war noch nicht da. Er blickte kurz zur Uhr. Es war kurz vor sechs. In ungefähr einer Stunde würde noch einmal der Aufruf von Frau Roeder gesendet werden. Er hatte also noch reichlich Zeit, seine neueste Errungenschaft auszuprobieren, und schrieb einen Zettel, den er auf dem Küchentisch deponierte: ›Bin im Eisenbahnzimmer.‹
Mit der Tüte in der Hand stieg er ins Dachgeschoss hinauf und schloss die Mansarde auf. Der Geruch von Holzleim lag in der Luft. Überall lagen Werkzeug und Gleismaterial verstreut. Auf einem kleinen Abschnitt hatte er bereits mit der Landschaftsgestaltung begonnen. Ein paar vereinzelte Miniaturbäume säumten die geschotterte Strecke, auf deren Hälfte sich ein kleiner Badesee befand. Winzig kleine Figuren tummelten sich am Ufer des aus Kunstharz gestalteten Gewässers, dessen Farbe eher an traumhafte Strände in der Karibik als an die eines deutschen Baggersees erinnerte.
Er packte seine neuesten Errungenschaften aus und setzte das Wagenset mit der E-Lok fachmännisch auf die Gleise. Dann schaltete er den Strom ein und drehte vorsichtig den Trafo auf. Mit einem Ruck setzte sich der winzige Zug in Bewegung. Brandt beobachtete mit verzaubertem Blick, wie die Modelleisenbahn durch die kleine, von ihm geschaffene Landschaft fuhr. Er tauchte völlig ein in diese kleine Welt und bemerkte gar nicht, dass Lore die Tür öffnete und den Raum betrat.
»Hallo Papa!«
Er zuckte zusammen und drehte den Trafo versehentlich voll auf. Der Zug raste mit großer Geschwindigkeit in eine Kurve und entgleiste. Schnell stellte er den Strom ab und beeilte sich, den entgleisten Zug zu bergen.
»Eine neue Lok?« Lore trat neben ihn und betrachtete das kleine technische Wunderwerk. Sie teilte seine Leidenschaft zu seinem Bedauern nicht und hatte deshalb auch kein Verständnis für seine schwärmerischen Ausführungen über das neue Wagenset.
»Wann gibt’s denn was zu essen?«
Er stöhnte leise auf. Dass dieses Kind aber auch nie an etwas anderes denken konnte.
»Gleich«, knurrte er beleidigt, legte den Zug wieder in seine Verpackung zurück und folgte seiner Tochter nach unten.
In der Küche stellte er den Backofen an und nahm zwei Tiefkühlpizzas aus dem Eisschrank.
»Morgen müssen wir mal einkaufen«, rief er Lore zu, die bereits ins Wohnzimmer gegangen war und den Fernseher angeschaltet hatte, »ist nicht mehr viel da.« Er entfernte die Plastikfolie von den Pizzas und schob sie in den Ofen.
Im dritten Programm hatten gerade die Regionalnachrichten begonnen. Hauptthema war natürlich Michelle Roeders Verschwinden. Fotos von dem Mädchen flimmerten über den Bildschirm.
»Ihr habt sie noch nicht gefunden?« Lore blickte ihn ängstlich an.
»Leider noch nicht!«
Schweigend verfolgten sie das Interview mit der weinenden Mutter, anschließend folgte der Aufruf an die Bevölkerung und den Entführer. Zum Schluss
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