Solomord
zeigte der Sender noch einige Aufnahmen von den Suchaktionen der Hundertschaften am Rhein und im Grafenberger Wald.
»Was meinst du, was mit ihr geschehen ist?«
Er stand auf und schaltete den Fernsehapparat aus. »Ich weiß es nicht.«
Nach dem Essen verschwand Lore sofort in ihrem Zimmer. Er räumte wie gewöhnlich die Küche auf. Dabei hatte er immer wieder das Bild von Michelle Roeder vor Augen. Wo war das Mädchen? Wer hatte es in seiner Gewalt? Immer wieder ging er in Gedanken die Schilderungen Ann-Katrins durch. Wieso war das Mädchen in diesen Wagen gestiegen? Hatte sie den Mann in der Uniform gekannt?
Er löschte das Licht und ging seiner Tochter Gute Nacht sagen.
»Hat Frau Lutz heute mit euch gesprochen?«
»Ja, und wir Mädchen machen auch wieder einen Selbstverteidigungskurs. Statt Sportunterricht.«
»Gut.«
»Du sollst sie übrigens anrufen!«
»Wen?«
»Frau Lutz.«
Er wunderte sich, dass die Lehrerin sich nicht selbst bei ihm meldete. Schließlich hatte er ihr seine Karte gegeben, sie wusste doch, wo er zu erreichen war.
»Mach ich. Schlaf schön!«
Lore murmelte etwas Unverständliches und er schloss die Tür.
Mit einem Blick auf die Uhr fragte er sich, ob er Frau Lutz um diese Zeit noch anrufen konnte. Es war bereits nach 21 Uhr. Aber die Umstände rechtfertigten sicherlich einen solch späten Anruf und außerdem hatte sie darum gebeten. Er wählte die Nummer von der Liste, die auf der Kommode neben dem Telefon im Flur lag und auf der sämtliche Telefonnummern von Mitschülern und Lehrern seiner Tochter notiert waren. Nach dem vierten Klingeln wurde abgehoben.
»Lutz?«
Die freundliche Stimme projizierte sofort das Bild der dazugehörigen Frau vor sein inneres Auge. Er schluckte.
»Hier ist Hagen Brandt. Äh, Lore sagte, ich solle Sie anrufen?«
»Ah, Herr Brandt. Gut, dass Sie sich melden.«
Sie klang erfreut und seine Bedenken bezüglich der Uhrzeit waren wie weggeblasen. Ein warmes Gefühl breitete sich plötzlich in seiner Magengegend aus. Wie es sich anhörte, hatte sie auf seinen Anruf gewartet.
»Was kann ich denn für Sie tun?«
Sie räusperte sich kurz und erklärte, dass sie auf keinen Fall den Eindruck erwecken wolle, dass sie überreagiere. Aber ihr war eingefallen, dass vor ein paar Monaten immer ein Mann vor der Schule gestanden habe. Manchmal sei er auf der gegenüberliegenden Straßenseite herumgeschlendert, habe so getan, als warte er auf jemanden. Einmal hatte sie auch beobachtet, wie er in ein Auto gestiegen war.
»Was war das für ein Wagen?«
Die Lehrerin konnte sich nicht genau erinnern. Sie habe sich eigentlich auch nichts dabei gedacht, hätte auch irgendein Vater einer Schülerin oder eines Schülers sein können.
»Aber als ich heute mit den Kindern über das Verschwinden von diesem Mädchen gesprochen und ihnen erklärt habe, dass sie auf keinen Fall zu einem Fremden ins Auto steigen dürfen, ist mir der Mann wieder eingefallen.«
Vielleicht hat der Täter die Entführung von langer Hand geplant, überlegte Brandt, und hat sich sein Opfer sorgfältig ausgewählt. Gut möglich, dass er auch an anderen Schulen gesehen worden war.
»Können Sie den Mann beschreiben? Ich meine, so, dass wir ein Phantombild anfertigen können?«
Frau Lutz bedauerte. Es sei schon einige Monate her und sie erinnere sich weder an sein Gesicht noch Haarfarbe oder Sonstiges.
»Ich könnte noch nicht einmal etwas über die Größe sagen. Tut mir leid!« Ihre Stimme klang, als fühle sie sich schuldig.
»Schon gut, aber danke für den Hinweis!«
»Ja, dann!«
Das Gespräch neigte sich seinem Ende zu und er verspürte plötzlich den Drang, noch etwas länger mit ihr zu sprechen. Er wollte nicht, dass sie schon auflegte, aber ihm fiel absolut nichts ein, womit er das Telefonat noch hätte verlängern können. Sein Gefühl und ihr Schweigen am anderen Ende der Leitung sagten ihm zwar, dass sie auf weitere Worte von ihm wartete, doch die Suche nach diesen blieb erfolglos. Sein Kopf schien wie leer. Es war einfach schon zu lange her, dass er ein Privatgespräch mit einer Frau geführt hatte.
»Ja«, er räusperte sich, »machen Sie sich nicht zu viele Gedanken!« Noch bevor er den Satz ausgesprochen hatte, wurde ihm bewusst, wie dämlich seine Äußerung war. Natürlich machte sie sich Gedanken, schließlich hatte sie eventuell den mutmaßlichen Entführer von Michelle Roeder gesehen und hätte vielleicht das Verschwinden des Mädchens verhindern können.
Doch Frau Lutz
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