Solomord
fasste seine Worte so auf, wie er sie gemeint hatte – als Trost und zur Beruhigung.
»Ich werde mir einfach eine Flasche Rotwein aufmachen und versuchen, ein wenig zu entspannen.«
Sie verabschiedeten sich und er legte auf. Eine Weile blieb er vor dem Telefon stehen und ließ das Gespräch Revue passieren. Dieses Gefühl, welches er während des Telefonats verspürt hatte, war ihm unangenehm. Er hatte doch genügend Menschen um sich, mit denen er sich jederzeit unterhalten konnte. Lore, seine Mutter, Kollegen. Wieso hätte er mit der Lehrerin seiner Tochter gern länger gesprochen? Er schüttelte seinen Kopf und ging in die Küche. Aus einem der Hängeschränke holte er eine Flasche Rotwein, entkorkte sie und goss sich ein Glas ein. Er gab dem Barolo nur wenige Minuten, um sein Aroma zu entfalten, und betrachtete kurz die granatrote Flüssigkeit, bevor er den ersten Schluck nahm. Ein leicht herber und gleichzeitig doch süßlicher Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Er schloss die Augen, und diesmal war es nicht das Bild einer Zehnjährigen, welches er vor seinem inneren Auge sah.
6
Pünktlich um sieben Uhr hatte sein Wecker geklingelt. In seinem Kopf hatte es gehämmert, als wenn tausend Trommler sich zu einer Beat-Session zusammengefunden hatten. Dabei waren es nur die Auswirkungen des Rotweins gewesen, den er am gestrigen Abend noch reichlich genossen hatte. Nach der ersten Flasche hatte er noch eine zweite geöffnet, und soweit er sich erinnern konnte, hatte er diese auch noch geleert. Stöhnend hatte er den Wecker ausgeschaltet, sich umgedreht und war wieder eingeschlafen.
Er fuhr erschrocken auf, als seine Tochter plötzlich vor seinem Bett stand und an seiner Bettdecke zog.
»Los, Papa, aufstehen!«, trieb sie ihn an. »Nils wartet schon in der Küche.«
Ein Blick auf den Wecker verriet ihm, dass es bereits nach acht Uhr war. Zwar war Samstag, aber er hatte mit Teichert abgesprochen, am Morgen noch einmal gemeinsam in die JVA zu fahren.
Er schwang die Beine über die Bettkante und blieb einen kurzen Augenblick dort sitzen. Das Zimmer schien sich zu drehen. Er stöhnte und fasste sich an den Kopf. Die Trommler waren immer noch im Einsatz. Langsam erhob er sich und schleppte sich ins Bad. Der Mann, der ihm aus dem Spiegel über dem Waschbecken entgegenblickte, sah ihm nicht im Geringsten ähnlich. Dunkle Ränder unter schläfrig blickenden Augen, tiefe Falten auf der Stirn, graue Gesichtsfarbe.
Er stellte sich unter die Dusche und drehte den Hahn auf. Der warme Strahl auf seiner Haut tat gut. Die Trommler in seinem Kopf verstummten langsam. Brandt schien Stück für Stück zurückzukehren. Er putzte sich flüchtig die Zähne, um den pelzigen Belag auf seiner Zunge loszuwerden, dann schlüpfte er in frische Sachen und ging zu seinem Kollegen in die Küche.
Lore hatte Kaffee gekocht und Teichert eine Tasse eingeschenkt. Sie selbst saß bei einem Glas Saft neben ihm am Küchentisch und fragte ihn nach Michelle Roeder aus.
»Und ihr habt keine Ahnung, was mit dem Mädchen passiert ist?«
»Lore, bitte!«
Er wollte nicht, dass seine Tochter zu viel über den Fall wusste. Sie war schon beunruhigt genug und sollte sich nicht noch mehr Sorgen machen. Er goss sich eine Tasse Kaffee ein und trank im Stehen.
»Und hattest du einen schönen Feierabend gestern?«, versuchte er, das Gespräch in eine banalere Richtung zu lenken. Lore stöhnte auf und verließ freiwillig die Küche.
Sein Kollege nickte. »Du wohl auch«, bemerkte er mit einem Blick auf die leeren Weinflaschen.
Brandt ging auf die Anspielung nicht ein, sondern erzählte von dem Gespräch mit Frau Lutz.
»Gut möglich, dass der Täter sich an mehreren Schulen vorher herumgetrieben hat. Wir sollten eine Meldung an alle Schulen in Düsseldorf und näherem Umkreis rausgeben. Vielleicht gibt es jemanden, dem dieser Mann ebenfalls aufgefallen ist und der sich ein wenig besser an dessen Aussehen erinnern kann. Ein Phantombild wäre ein großer Fortschritt.«
Teichert stimmte ihm zu.
Gegen neun Uhr waren sie in der JVA. Die beiden Kommissare hatten gebeten, dem Häftling nicht zu sagen, wer ihn erwartete. Man sollte ihm lediglich ausrichten, dass er Besuch habe.
»Das glaubt der doch nie im Leben. Erst mal ist keine Besuchszeit und dann müssen sich Besucher sowieso vorher anmelden.«
»Sagen Sie ihm einfach, aufgrund des Verschwindens seiner Tochter gäbe es für ihn eine Ausnahmeregelung.« Der Vollzugsbeamte zog kopfschüttelnd von
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