Some like it heiß
Nagelstudio-Boom in den USA – nach der Ölkrise wollten Amerikanerinnen wieder ein bisschen Glamour erleben und so preiswert wie möglich wie Crystal und Alexis aus dem Denver Clan aussehen. Fake nails – angeklebte, künstliche Nägel aus Acryl – waren plötzlich nicht mehr nur das Vorrecht von porn stars und R ’n’ B-Sängerinnen.
Ich mag es traditioneller. Ich liebe eine echte Maniküre wie in dem Film »Die Frauen« von George Cukor, ein Hauch Hollywood-Glamour der Dreißiger anstelle meines alltäglichen cinéma vérité. In »VIP Nails« fand ich eine preiswerte Oase mit nicht zusammenpassenden Möbeln, leeren Miniaquarien, staubigen Stofftieren, asiatischem Softrock und einem Wandkalender, der immer September 1978 anzeigte. Eine chorus line von sechzehn taffen asiatischen Nageltechnikerinnen saß im weißen Kittel auf kleinen rollbaren Hockern vor sprudelnden Minispringbrunnen. Ihnen gegenüber hockte eine ganzeMeute gehetzter Sekretärinnen, Kellnerinnen und Polizistinnen, die in ihrer Mittagspause nichts sehnlicher wollten, als ihre Füße in warme Schaumbäder und ihre Popos in enorme vibrierende Massagesessel einzutauchen. Jede Kundin hatte vier Arbeiterinnen um sich, jeweils eine an jeder Hand und jedem Fuß – Express eben. Alles musste schnell gehen.
»CARA!«, schrie die Chefin, ungefähr in meine Richtung.
»Excuse me?«, antwortete ich. Ich war das erste Mal hier und nervös, wie beim ersten Mal im McDonald’s-Drive-Thru mit meinem Vater, als ich so überwältigt vom Drive-Thru-Konzept war, dass ich keine Entscheidung treffen konnte und anfing, hemmungslos zu heulen, während die hungrigen Autofahrer hinter uns pausenlos hupten.
»CARA, MISS?«, sagte eine andere und gestikulierte mit flimmernden Fingern in meine Richtung. Entweder dachte sie, dass ich die Flashdance-Sängerin und Fame-Hauptdarstellerin Irene Cara wäre, oder sie meinte »color«, und ich sollte eine Farbe aussuchen.
Ich nahm Jungle Red – genau wie Joan Crawford in »Die Frauen« – und kletterte auf denMassagestuhl. Ein Nageltechnikerinnenteam saß bei mir und bearbeitete meine Hände und Füße, und ich wollte vor Glück weinen.
Es war das erste Mal, dass ich den Cleopatra-Komplex erlebte, ein merkwürdiges Ereignis, das immer wieder mal im Leben eines Beauty-Fans auftaucht. Eigentlich sollte ich Königin für einen Tag sein, aber die Beziehung mit den Zofen ist komplizierter als gedacht, eine prekäre Kombination aus Intimität und Anonymität. Eine manchmal fatale Verknüpfung, der man auf der Suche nach Schönheit immer wieder begegnet. Zum Beispiel auf Sylt:
»Als der liebe Gott Haare ausgegeben hat, war er sehr großzügig mit Ihnen.« – Ich lag auf einer Massagebank in der Beauty Lounge eines renommierten Sylter Wellnesshotels. Die blonde Auszubildende in der Kosmetikkabine pinselte einen Streifen heißes Wachs auf meine Oberlippe. Ich wollte eine pointierte Antwort liefern, hatte aber Angst vor der glühenden Lippenlava – und blieb stumm.
Im Grunde hatte sie ja recht. Seit einer Weile wuchs meine Gesichtsbehaarung gewaltig. Ohne den tatkräftigen Einsatz pinzettenschwingender Fachkräfte würde ich aussehen wie Tom Selleckin »Magnum«. Früher war es nur ein bisschen Flaum auf der Oberlippe, aber jetzt sind auch mein Kinn und sogar die Wangen betroffen. Ohne regelmäßige Enthaarung würde ich bald aussehen wie Wolfgang Thierse oder Karl Marx. Es gibt sogar einen medizinischen Begriff dafür:
Vermännlichungserscheinungen
. Ich kann das Wort nicht mal aussprechen, but it’s happening to me.
Es hat wieder einmal mit den motherfucking Hormonen zu tun, genauer gesagt mit DHT – Dihydrotestosteron. In den »Jahren der Fruchtbarkeit« – wäre das nicht der ideale Titel für eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung? – stellen die Eierstockarbeiterinnen nicht nur Östrogen, sondern auch, in geringerem Maße, männliche Hormone her – DHT. Während der Wechseljahre streiken plötzlich die tapferen Arbeiterinnen aus der Eierbranche, wollen mehr Lohn für weniger Arbeit und Feiertagszuschläge, werden deshalb gedownsized und produzieren nur noch DHT. Dadurch sehe ich aus wie Ho Chi Minh.
DHT –
D
ieser
H
ormon-
T
error macht mich langsam fertig – und bankrott. Ich gebe mehr Geld für Waxing aus als für Steuervorauszahlungen – und das ist viel. Als Feministin könnteich theoretisch mein hormonell bedingtes Haarwachstum akzeptieren und meinen »Let It Be«-Look als naturbelassen zelebrieren, aber ich
Weitere Kostenlose Bücher