Some like it heiß
habe keinen Bock, wie Ringo 1971 auszusehen, und gehe lieber zur Kosmetikerin.
»Haben Sie
viele
Kinder?« Die Masseurin in Binz goss warmes Sesamöl über meine Lendenwirbel.
»Nein, ich habe keine«, murmelte ich, mein Gesicht in das Loch des Behandlungstisches gepresst.
»Aber Sie haben so viele Schwangerschaftsstreifen!«, sagte Jennifer, meine Masseurin aus Görlitz. Sie gab mir eine ayurvedische Abhyanga-Massage im Thai-Bali-Spa eines Viersternehotels auf Rügen. Ein kleiner Raum im Keller des Hotels war mit Seidenstoffen und Kokosnüssen, einem Plastikhummer und einer Buddha-Statue mit Lichterkette dekoriert. Die irische Sängerin Enya sang im Hintergrund. Dieser geographische Mischmasch war verwirrend genug, auch ohne Jennifers Befragung – auf Sächsisch.
»Ich war ein dickes Kind«, nuschelte ich ins Loch, »ich bin Amerikanerin.«
»Schade«, sagte Jenny, und ich fing an zu heulen, aus Trauer über meinen imperfekten Körper,meine dicke Kindheit, meine nicht existierenden Kinder.
Und jetzt, im Schöneberger Nagelstudio, wurde ich von einer zierlichen Frau, deren Namen ich nicht kannte, schon in die Rente geschickt. Wie sind wir hier gelandet? Welches Schicksal hat uns beide hierhergebracht? Ist das Karma? Eine winzige Wiedergutmachung für die politischen Riesenfehler meiner Heimat?
Sie nahm meine Hände, presste sie zusammen und wickelte sie in ein heißes, feuchtes Handtuch ein. Sie legte ihre Hände um das Tuch – mit Professionalität, Effizienz und Güte. Sie lächelte und fragte: »Ist gut?«
»Danke«, sagte ich, schnuffelte und spürte die Tränen schon wieder. »It’s very gut.«
11. HOTEL CALIFORNIA
»Wo bin ich?«
Es war kurz vor der Morgendämmerung, das spürte ich, aber sonst war ich mir nicht sicher.
Manchmal wache ich mitten in der Nacht auf, and I have absolutely no idea where I am. Diese Verlorenheit
,
dieses Fallen in die totale Verwirrung fing schon vor Jahrzehnten an, und mein Leben auf Tourneen, in Hotelbetten zwischen Buffalo und Amsterdam, zwischen Bielefeld und Gaggenau, hat nicht zur Verbesserung beigetragen. Jetzt, da die Jahre wechseln, wache ich auf, und es ist noch schlimmer – ich habe nur ein vages Gefühl von Verschiebung, erlebe einen kurzen Moment von schwebender Freiheit, before the Panik sets in.
Ich war in einem Zimmer im Hilton Garden Inn in Plymouth, Massachusetts, einem Durchschnittshotelfür Geschäftsreisende auf dem Parkplatz eines Baumarkts neben der Autobahn, und irgendwo summte ein Wecker. Wie spät war es?
Schlaf-Rhythmus-Störungen sind ein weiteres Überraschungsgeschenk der Wechseljahre. Manche Frauen brauchen mehr Schlaf denn je, andere können überhaupt nicht mehr schlafen, und Frauen wie ich wachen auf und sind völlig losgelöst, gefangen in vormorgenrötlicher Verwirrung, und wissen nicht, wo sie sind, wie alt sie sind, welches Jahr wir haben und was wir hier eigentlich machen. Dieses Erlebnis kann, wie so viele Dinge, negativ oder positiv gesehen werden – entweder lässt man sich erschrecken oder kostet für einen prickelnden Moment die verlockende Möglichkeit aus, dass dieser summende Wecker vielleicht in einer Villa am Comer See steht, und George Clooney bringt gleich Espresso ans Bett.
Dieser Effekt ist eine weitere kleine Gabe des weiblichen Gehirns, und zwar des großzügigen Hypothalamus, einer Drüse, die nicht nur Östrogen und Progestin ausschenkt, sie spendiert uns auch Dopamin und Serotonin – die lustige Fraktion im Hormonhaushalt, die Party-People unter den Neurotransmittern, die Lust und Laune verbreiten.
Ich stelle mir den Hypothalamus als eine freundliche, etwas exzentrische und völlig überdrehte Innenausstatterin vor – die Tine Wittler unter den Gehirnfunktionen. Und sie ist im Renovierungsfieber: »Ich kann kein Östrogen mehr sehen – raus damit! Wir nutzen stattdessen viele bunte Dopamine! Hier! Dort! Überall! Wir brauchen Farbe!«
Das passiert in meinem Gehirn! Mitten in der Nacht! Täglich!
Ich verliere meine Orientierung, aber ist das schlecht? Wenn ich mich im Hilton Garden Inn befinde, verliere ich sie gerne. Lost in Translation.
Schon als Kind hatte ich ein ähnliches Gefühl, in den Sommermonaten beim Aufwachen nach dem unfreiwilligen Mittagsschlaf am Strand. Wo bin ich? Wo ist meine Mutter? Es war heiß und stickig. Ich hatte Sand im Mund, und meine Geschwister waren weg. Hatte ich etwas verpasst? Meine Mutter looked up from her Paperback – »Profiles in Courage« (»Zivilcourage«) von
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