Some like it heiß
Mani/Pedi zu geben. Ich lackierte ihre Nägel in einem leuchtenden Apricot und pustete auf ihre kleinen Hände, um sie zu trocknen. Sie hatte noch die Kraft, um meine Handgelenke festzuhalten, blickte mich ernsthaft an, und mit grenzenloser Liebe in ihren Augen sagte sie: »Go home.«
Ich sagte: »Ma, I am home.«
Sie sagte: »Go home to Germany.«
Es war das erste Mal, dass sie Deutschland als mein Zuhause sah. Früher hatte sie sich ununterbrochen laut gewünscht, dass ich endlich nach Hause, nach Massachusetts, zurückkehren würde, »to settle down, be a teacher, marry a nice Irish boy«. Jetzt gab sie mich frei, aber ich konnte nicht loslassen. Unter Tränen stellte ich ihr eine Bedingung: »Please don’t die before my Premiere. Ich habe sechzig Menschen, die ich bezahlen muss. Wenn die Schmerzen nicht zu groß sind, could you hold on just a little while?«
Ma lachte und sagte, dass sie selbstverständlich ihren Geburtstag, vier Wochen nach dem Ende meiner Show, erleben wolle. »And you kids can get me a Flatscreen TV. This one sucks.«
Hey Deutschland! I love ya! The Nord, Süd, Ost und West!
Jetzt bin ich your Showgirl, I’m gonna do my best.
Es gibt genug für alle hier in my Wolkenkuckucksheim.
I’m Everybody’s Showgirl, so let’s havea real good time!
Am Premierenabend stand ich auf der Bühne und griff nach jedem bisschen Babuschka-Energie, das ich zu fassen bekam. Ich wollte dem Publikum wirklich eine »real good time« schenken, hier in dem goldenen Zuschauerraum des Admiralspalasts. Der Admiralspalast wurde 1910 erbaut als gigantisches Entertainment-Paradies mit Revue, Eislaufbahn, Schwimmbad, Kegelbahn, Kino, Café und Prostituierten. Was klingt wie das Wochenendhaus von Lady Gaga, ist ein Stück deutscher Entertainment-Geschichte auf der Friedrichstraße, wo einst Max Reinhardt und Bertolt Brecht gearbeitet haben. Die Komische Oper, das Berliner Ensemble, das Kabarett »Die Distel«, der »Quatsch Comedy Club«, der Friedrichstadtpalast – it’s Broadway in Berlin. Ich dachte an die Geschichte dieser Bühnen –und dieser Stadt –, was sie erlebt und überlebt hatten, und fühlte mich als Teil eines Showbiz-Kontinuums, einer zeitlosen Kameradschaft voller Außenseiter, die hier irgendwann ihr Zuhause gefunden hatten.
Nach der Show gab es eine tobende Party, zu der lauter Mitglieder dieser Gemeinschaft kamen. Mein Team war von der Crème de la crème der deutschen Unterhaltung umringt: Thomas Hermanns, Barbara Schöneberger, Dirk Bach, Maren Kroymann, Bastian Pastewka, Kim Fischer, Ulrich Matthes – und wurde hochgelobt. Selbst Christine Neubauer war da und umarmte mich herzlich. Der Abend war ein Riesenerfolg.
Ich fand den Promoter mit seiner Familie beim Buffet. Seine zwei hübschen jungen Söhne tranken Fanta aus Strohhalmen und gratulierten mir höflich und begeistert. Der Promoter prostete mir zu und sagte: »Die ganze Familie hat es genossen! Das hast du toll gemacht!« Er überblickte den vibrierenden Raum voller inspirierter Premierengäste, schaute mich zufrieden an und sagte mit einem vertraulichen Lachen: »Jetzt fängt die Arbeit an.«
15. THE WINNER TAKES IT ALL
»You missed B-14!«
Meine Mutter brauchte nicht einmal aufzuschauen, um einen Blick auf meine Spielkarte zu werfen und meinen Fehler zu bemerken. Wir saßen nebeneinander im Cape Cod Senior Residences in Pocasset, Massachusetts, beim Bingospiel. Ich hatte nur eine einzige Bingokarte vor mir, meine Mutter vierundzwanzig. Doch sie hatte alles im Griff. Bingo war ihr Ding, ihr Lebenselixier, sie hatte es im Blut. Verwirrt verglich ich zum zweiten Mal die gezogenen Zahlen mit denen auf meiner Spielkarte: Ich hatte tatsächlich B-14 übersehen. Ma war fast achtzig, hatte grauen Star und trug eine Hornbrille mit Gläsern so dick wie Flaschenböden, aber bei diesem Spielkonnte ihr keiner etwas vormachen. Ich war aufgeputscht von Unmengen von Dunkin’ Donuts und Kaffee, nachdem ich, wie bei allen meinen Kurzbesuchen in der Heimat, viel zu früh aufgewacht war und versuchte, mich den ganzen Tag über mit Zucker und Koffein wach zu halten. Da Ma im März Geburtstag hat, besuchte ich sie immer im Frühjahr, auch wenn es an der Ostküste dann meistens noch kälter war als im unendlich grauen, sibirischen Berliner Winter.
Die Devotionalien, die Ma wie eine Schutzwand gegen Spielerpech um ihre Karten aufgebaut hatte, blendeten mich: Familienfotos, Mini-Figuren von Jesus und St. Jude – »the patron saint of lost
Weitere Kostenlose Bücher