Some like it heiß
Für die Buchhaltung, den Putzdienst, die unendliche Wäsche, Tierpflege, Kochkunst und das Pusten auf aufgeschlagene Knie und Ellenbogen nach ach so dramatischen Unfällen. Für jede bekloppte Diät, jede Joggingrunde, jeden leg lift, squat, sit-up und für alle Liegestütze. Für Bikini-Waxing.
Ich saß neben meiner Mutter und versuchte mich auf meine Karte zu konzentrieren, aber ich schaffte es nicht. Die Zeit, die wir bei meinen kurzen Aufenthalten hatten, war immer so kurz, dass meine Gedanken schnell grundsätzlich wurden. Wie war ich hier gelandet, neben meiner geliebten Mutter, dreitausend Meilen entfernt von meiner Altbauwohnung in Berlin, der Stadt meiner Wahl? Warum trennte uns mindestensein Ozean, und warum besuchte ich meine Mutter in einem Pflegeheim (»It’s
assisted living
!«)? Wo ist die Zeit geblieben? Ich suchte nach einer Antwort wie nach den verlorenen Zahlen auf meiner Spielkarte. Meine Gedanken schweiften immer mehr ab, und ich erinnerte mich wieder an den Wendepunkt in meinem Brocktoner Leben: Prom Night 1978.
Das war der bisher wichtigste Tag nach siebzehn unendlich langen Jahren in der Provinz: Prom Night – the High-School-Abschlussball. Außergewöhnlich und seltsam. Jeder, der die Verfilmung von Stephen Kings »Carrie« kennt, weiß das.
Als Teenager wollte ich cool sein und zu denen gehören, die auf den ganzen Quatsch herabblicken: Smoking und Ballkleid, all diese Konventionen – wer braucht das? Aber andererseits: Es ist der Abschlussball! Die letzte Gelegenheit, mit Freunden und Mitschülern zu feiern, bevor man sich in alle Richtungen zerstreut. Und die erste Gelegenheit, ganz erwachsen zu sein – mit fast achtzehn Jahren.
Die Vorbereitung war anstrengend genug. Ich brauchte ein Prom Date, ich brauchte Make-up und ein langes Kleid. Ich musste auf alles vorbereitetsein. Vor mir auf dem Tisch im Ballsaal würde auf einmal mehr als eine Gabel liegen, und ich fragte mich, was ich eigentlich mit dem ganzen Besteck machen sollte.
Während ich an der Erschaffung eines ansprechenden Äußeren arbeitete, tobten drinnen die Hormone. Alle dachten an Sex. Prom-Night-Sex. Das ist eine Tradition wie die Schultüte zur Einschulung. Viele
haben
Sex an diesem Abend, und viele zum ersten Mal, aber kaum jemand wusste genau, was passieren würde – so auch ich. Es ist wirklich wie in all diesen Filmen und Fernsehserien, wie in »Glee« oder »Grease« oder »Carrie«. Ich war enthusiastisch, aber ahnungslos.
Brockton 1978 war keine Hochburg der freien Liebe. Es war eine Arbeiterstadt voller irischer, italienischer, polnischer, litauischer Einwanderer und Afro-Amerikaner christlichen, jüdischen, prüdischen Glaubens. Wir sind ohne die Bravo groß geworden, hatten keinen Dr. Sommer mit hübschen Bildergeschichten, um uns auf den sexuellen Akt, den anderen, den eigenen Körper vorzubereiten. Für die Aufklärung hatten wir Katholiken Nonnen in der Sunday School, mit hilfreichen Sätzen wie: »Don’t touch it!«
»
Was
soll ich nicht anfassen?«
»Don’t touch
anything
!«
Meine Mutter war auch nicht sehr hilfreich. Ihr einziger Satz zum Thema Fortpflanzung war: »Having a baby is like trying to shit a watermelon.«
In der siebten Klasse waren wir alle verpflichtet, an einer Stunde namens »Health« teilzunehmen. Was wie lebensbejahende Aufklärung über körperliches Wohlbefinden klingt, war in Wirklichkeit düster und abschreckend. Mädchen und Jungs waren für diese Stunde getrennt und bekamen in weit voneinander entfernten Klassenzimmern denselben Film vorgeführt: »The Miracle of Life«, auch genannt »Don’t Touch Anything!«. Dieses cineastische Meisterwerk aus dem Jahr 1958 war Brocktons stärkstes Verhütungsmittel. Ich habe unscharfe Erinnerungen an ein szenisches Potpourri aus gezeichneten menstruierenden Gebärmuttern, mikroskopischen Eizellen, einer Spermienarmee im extremen Close-up, verschiedenen schleimigen Neugeborenen und eine durchtrennte Nabelschnur. Sinnigerweise wurde nicht die Geburt eines menschlichen Babys, sondern die eines Kalbs gezeigt. Es war eher wie ein »Herr der Ringe« der Körperfunktionen oder ein Biologie-Splatter-Movie. Wirklich schrecklich.Ich dachte an meine Mutter, meine Geburt und wie es sich anfühlt, eine Wassermelone auszuscheißen.
Mitten im Unterricht fiel ich in Ohnmacht. Den Rest der Schulzeit durfte ich mir von meinen Klassenkameraden immer wieder den Satz anhören: »Gayle passed out in the sex movie!«
Am nächsten Tag musste ich
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