Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
Reihen der Sitze, die tatsächlich noch fest mit dem Fußboden verbunden waren. In jedem davon saß ein halb zerfressener Leichnam. Im zuckenden Lichtschein der beschädigten Lampe konnte ich erkennen, dass sie doch nicht ganz so übel aussahen, wie ich zunächst vermutet hatte. Viele Brustwunden waren von runzliger rosafarbener Haut überzogen, die eigentlich gesund und frisch aussah. Ich war mir natürlich nicht sicher, aber ich hatte den Eindruck, als würde der eine oder andere Leichnam hier langsam und gleichmäßig atmen. Ein mageres blondes Mädchen hatte es so übel erwischt, dass ihr Kopf in einem sehr widernatürlichen Winkel rücklings über die Sessellehne hing. Die Wunde hatte sich zwar geschlossen, doch offensichtlich kannten sich die dämlichen Nanobots nicht mit menschlicher Anatomie aus: Die frische Haut aus dem Rücken verband den Hinterkopf des Mädchens mit dem Rückgrat, sodass es der Kleinen für den Rest ihres Daseins in die Nasenlöcher regnen würde. Während wir an der Wand entlang vorrückten, war es mir, als hätte ich eine unsichtbare Grenze überschritten, denn auf einmal hüllte mich der Gestank ein wie klebriges Öl. Was genau ich hier roch, hätte ich nicht zu sagen vermocht. Mein Körper aber wollte instinktiv fort von hier. Es war, als atme man den Tod selbst ein.
Wir drückten uns an der Wand entlang weiter auf die Ecke zu. Eine meiner Hände lag immer noch auf Markos verschwitztem Rücken. Ich trieb ihn weiter, den Blick fest auf die Leichen gerichtet, an denen wir vorbeigingen. Die werden reif, dachte ich. Gerade eben noch waren wir in noch helleres Licht getaucht gewesen, als die Sonne an einem schönen Tag zustande brachte. Daher schien alles rings um uns nur aus scharfen Kanten und tiefen Schatten zu bestehen. Im nächsten Moment umgab uns völlige Finsternis, und nur die fröhlich-bunten Leuchtschilder, die nach wie vor von der Decke hingen, spendeten schaurig-wässriges Licht. Ich hörte meinen eigenen pfeifenden Atem und neben mir Markos verängstigtes Keuchen.
»Brauchen Sie mich immer noch, Gates?«, fragte er in überlautem Flüsterton.
Immer noch behielt ich die Leichen neben uns im Auge. Hier bestanden die Sitzflächen der Sessel nur noch aus Trümmern, und so lagen die Toten wild durcheinander auf dem Boden: ein schauerliches Gewirr aus verschlungenen Gliedmaßen; überall klebte geronnenes Blut. »Jedes Mal, wenn du den Mund aufmachst«, gab ich zurück, »denke ich aufs Neue genau darüber nach.«
Ich wusste, wie es weitergehen würde. Hätte ich einen Hinterhalt für jemanden vorbereitet, in einem dunklen Raum voller Leichen, die eine wunderbare Ablenkung darstellten, würde ich mir zwischen den Leichen einen guten Platz suchen, völlig still liegen bleiben und den geeigneten Moment abwarten. Ein solch guter Platz befände sich etwa in der Mitte des Raumes. Meine Zielpersonen wären schon weit von den Eingängen fort, wenn ich dann zuschlüge. Ich würde außerdem irgendwo einen Engpass erzeugen, damit sie den Kurs ändern oder wenigstens den Schritt verlangsamen müssten. Als die Lampe gerade wieder aufflammte, sah ich einen kleinen Fleck unmittelbar hinter der Ecke. Dort lagen ein Mülleimer und einige unbeschädigte Stühle beieinander, anscheinend völlig achtlos zusammengeworfen. Sofort dachte ich: Da! Genau da würde ich warten!
Innerlich immens angespannt zwang ich mich dazu, mit unvermindertem Tempo weiterzugehen, ließ den Blick über die Leichen schweifen, die rings um diesen kleinen Stapel lagen, während sie im flackernden Schein der Lampen verschwanden und schlagartig wieder auftauchten. Für mich sahen die alle tot aus. Das Adrenalin in meinen Adern ließ mich regelrecht vibrieren, und ich wollte gern atmen, richtig atmen. Ich wollte es so sehr, dass sich in meinem Kopf der Gedanke festsetzte, meinetwegen könne jetzt die ganze gottverdammte Welt einfach untergehen, wenn ich dafür ein wenig mehr Luft bekäme.
Als wir den Mülleimer fast erreicht hatten und gerade einige besonders feucht aussehende Leichen passierten, war das tosende Fauchen eines Shredders zu hören, gefolgt von einem halben Dutzend Schüssen aus einer von Bellings Pistolen: ein zusätzliches Aufblitzen, vielleicht zwanzig Schritt entfernt. Aus dem Augenwinkel sah ich eine verschwommene Bewegung. Dann hatte eine Hand meinen Knöchel gepackt, hielt ihn in kräftigem, schmerzhaftem Griff. Ein Ruck brachte mich aus dem Gleichgewicht, und ich musste mich an Markos Hemd festkrallen,
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