Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
nicht einmal, wohin Sie gehen sollen! Sie haben einen Namen, klar, aber glauben Sie wirklich, ein einzelner Underground-Techie hat das hier geschafft? Denken Sie doch mal nach, Colonel! Das Ganze hat mit mir angefangen und sich dann stetig immer weiter ausgebreitet, richtig? Es dauert irgendetwas zwischen ein paar Stunden und ein paar Tagen, bis so eine arme Sau in Stücke gerissen wird, richtig? Die ganze Stadt steht kurz vor dem totalen Zusammenbruch. Und nach der Stadt – was kommt dann? Sie kennen sich doch aus, Colonel, Sie wissen, wie man Menschenmengen im Zaum hält. Glauben Sie wirklich, Sie könnten das irgendwie eindämmen? Sie werden über kurz oder lang nicht einmal in der Lage sein, zu verhindern, dass sich das Chaos über den Bezirk Downtown hinaus ausbreitet!«
Sie starrte mich nur an, aber irgendetwas verriet mir, dass ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit errungen hatte. Vielleicht war es etwas an ihrer Aura oder ein Signal, das ihr kaltes Echsengehirn abstrahlte. »Ich dagegen weiß, wo wir hinmüssen«, sagte ich. »Ich weiß, wo wir Ty Kieth finden können. Und ich weiß, wie es danach weitergehen muss. Denken Sie darüber nach!«, schloss ich. »Sie haben die technischen Möglichkeiten. Und ich habe die erforderlichen Informationen.«
Wenn ihr Techie nur fünf Minuten länger hätte arbeiten können oder wenn es Terries gelungen wäre, wirklich alles auszuplappern, was er wusste, dann hätte ich überhaupt nichts in der Hand gehabt. Aber so war es nun einmal nicht. Es wurde Zeit, wieder die altvertraute Rolle von Avery Cates, dem Groochen und Chrecklichen, zu spielen.
Ich ging das Risiko ein und blickte Hense geradewegs in die Augen, dieser schmächtigen Frau, deren dunkle Haut so aussah, als würde sie sich verdammt gut anfühlen. »Colonel, wir sind Partner in diesem Spiel.«
Happling drehte den Kopf zur Seite und spie auf den Fußboden. »Schwachsinn!«, murmelte er.
Hense hob die Hand, und Happling verstummte. Den Riesenkerl blickte ich nicht an. Er zählte nicht. Um Happling, den Roten Riesen zu erreichen, musste man an seinen Boss herankommen.
Einige Momente lang schaute mich Colonel Hense schweigend an. Es gefiel mir gar nicht, ihrem Blick standhalten zu müssen. Sie gehörte zu diesen selbstbewussten Typen, die sich absolut sicher waren, dass sie alles, was sie unternahmen, immer aus genau den richtigen Gründen taten. Ich war mir ziemlich sicher, dass Colonel Janet Hense nie schweißgebadet aus einem Traum erwachte, in dem all die Leute aufgetaucht waren, die sie schon umgebracht hatte. Sicher hatte sie nie dieses üble Gefühl in der Magengrube verspürt, das wie Säure an ihrer Entschlossenheit fraß. Sicher hatte sie noch nie keuchend in irgendeiner Pfütze gelegen, völlig verängstigt und jederzeit bereit, alles aufzugeben, was sie hatte, nur um den nächsten Augenblick noch zu überleben. Ich hingegen, ich kannte das alles, und ihr fester, unerschrockener Blick brannte auf meiner Haut wie loderndes Feuer.
Dann nickte sie knapp. »Captain«, sagte sie langsam, den Blick immer noch auf mich gerichtet. »Lösen Sie Mr Gates’ Fesseln! Die Waffe kann er behalten.«
Happling erschauerte, als hätten ihre Worte ihn von einem unsichtbaren Bann befreit. Kurz fragte ich mich, ob diese Frau wohl auch eine Psionikerin war, aber dafür war sie zu alt. Soweit ich wusste, hatte der SSD erst vor ungefähr zwanzig Jahren damit angefangen, psionisch-positive Individuen zu testen und einzusacken. Ich ging davon aus, dass sie alle in etwa in dem Alter waren wie dieses schreckliche GB-Trio von neulich, also vielleicht Mitte zwanzig.
»Boss«, sagte Happling langsam, mit leiser, aber fester Stimme, »das ist eine echte Scheiß-Idee! Das da ist nicht bloß irgendein Informant, jemand den man vielleicht noch brauchen kann. Das ist Avery Gates! Das ist ein Cop-Killer!«
Hense blickte ihn nicht an; ihr Blick ruhte immer noch auf mir, und ich hatte mich keinen Millimeter gerührt. Ich wusste selbst nicht, warum. Aber ich war mir sicher, wenn ich mich zu früh bewegte, würde hier alles den Bach runtergehen. Also starrten wir einander bloß an. »Mir ist bezüglich Mr Gates keinerlei Aktenlage bekannt, Captain. Soweit ich weiß, taucht sein Name in der Datenbank nicht in Zusammenhang mit auch nur einer einzigen noch offenen Ermittlung auf. Er ist«, sagte sie, und der Hauch eines Lächeln umspielte ihre Lippen, »ein Paradebeispiel für einen guten Bürger.« Schließlich drehte sie sich doch zu
Weitere Kostenlose Bücher