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Sommer

Sommer

Titel: Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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vorgestellt hatte. Denn ich begriff wohl, daß sie das war. Aber
nun geschah sie irgendwo ganz im Großen, weit über mir, wo ich nicht hinreichte.
    Werke VI (Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge), 894-896
    M ädchen in meiner Heimat. Daß die schönste von euch im Sommer an einem Nachmittag in der verdunkelten Bibliothek sich das kleine Buch fände, das Jan des Tournes 1556 gedruckt hat. Daß sie den kühlenden, glatten Band mitnähme hinaus in den summenden Obstgarten oder hinüber zum Phlox, in dessen übersüßtem Duft ein Bodensatz schierer Süßigkeit steht. Daß sie es früh fände. In den Tagen, da ihre Augen anfangen, auf sich zu halten, während der jüngere Mund noch imstande ist, viel zu große Stücke von einem Apfel abzubeißen und voll zu sein.
    Werke VI (Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge), 927
    A lles ist mir lieb, die Sommersprossen
und die Spange, die den Ärmel schloß;
oh wie unerhört und unverflossen
blieb die Süßigkeit, drin nichts verdroß.
    Taumelnd stand ich, in mir hingerissen
von des eignen Herzens Überfluß,
in den kleinen Fingern, halbzerbissen,
eine Blüte des Konvolvulus. –
    Oh wie will das Leben übersteigern,
was es damals, schon erblüht, beging,
als es von dem eigenen Verweigern
wie von Gartenmauern niederhing.
    Werke II , 153
    D eine Stube mit den kühlen
Rosen in den vielen Vasen,
drinnen wir in tiefen Stühlen
lehnten, leise Lieder lasen –
und mein Auge sehnte zag:
    ist die einsame Kapelle,
welche Zuflucht mir bedeutet;
warten will ich an der Schwelle,
bis mir deine Stimme läutet
meinen Lebensfeiertag.
    Werke III , 178
    W ir gehen durch Alles das hin, wie der Faden durch ein Gewebe: Bilder bildend und wir wissen nicht welche. Auf einmal zwingt ein banges Ereignis mich auf mein vergangenes Jahr anders zurückzusehen und es zeigt sich, daß mein ganzer Sommer ein einziges Abschiednehmen war von ihr, von jener hellen innig-schönen Gestalt, die ich erst zu finden und zu begrüßen glaubte; und wie gedachte ich vor ihren Augen zu leben und meine Arbeit zu thun; und wie hatte sich das Bewußtsein ihres Daseins mit allem Hoffenden in mir verbunden zu einem guten und ruhigen Gefühl des beschützten Lebens … Und – nun ist alles zu Ende und Gegebensein und Genommenwerden ist wie ein Augenblick, und das lichte Bild ist wie vorbeigerissen an mir, und Monate wie eine Minute kurz und wie ein Traum: nicht noch einmal heraufzurufen. Nun, da sie uns allen verborgen worden ist.
    Heydt (8. 2. 1906), 48f.
    Abschied
    W ie hab ich das gefühlt was Abschied heißt.
Wie weiß ichs noch: ein dunkles unverwundnes
grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.
    Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen,
das, da es mich, mich rufend, gehen ließ,
zurückblieb, so als wärens alle Frauen
und dennoch klein und weiß und nichts als dies:
    Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen,
ein leise Weiterwinkendes –, schon kaum
erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum,
von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen.
    Werke I , 517f.
    D ies ist Besitz: daß uns vorüberflog
die Möglichkeit des Glücks. Nein, nicht einmal.
Un -Möglichkeit sogar; nur ein Vermuten,
daß dieser Sommer, dieser Gartensaal, –
daß die Musik hinklingender Minuten
unschuldig war, da sie uns rein betrog.
    Du, schon Erwachsene, wie denk ich dein.
Nicht mehr wie einst, als ein bestürztes Kind,
nun, beinah wie ein Gott, in seiner Freude.
Wenn solche Stunden unvergänglich sind,
was dürfte dann das Leben für Gebäude
in uns errichten aus Geruch und Schein.
    Werke II , 152
    Dame auf einem Balkon
    P lötzlich tritt sie, in den Wind gehüllt,
licht in Lichtes, wie herausgegriffen,
während jetzt die Stube wie geschliffen
hinter ihr die Türe füllt
    dunkel wie der Grund einer Kamee,
die ein Schimmern durchläßt durch die Ränder;
und du meinst der Abend war nicht, ehe
sie heraustrat, um auf das Geländer
    noch ein wenig von sich fortzulegen,
noch die Hände, – um ganz leicht zu sein:
wie dem Himmel von den Häuserreihn
hingereicht, von allem zu bewegen.
    Werke I , 619
    Sommerabend
    D ie große Sonne ist versprüht,
der Sommerabend liegt im Fieber,
und seine heiße Wange glüht.
Jach seufzt er auf: »Ich möchte lieber …«
Und wieder dann: »Ich bin so müd …«
    Die Büsche beten Litanein,
Glühwürmchen hangt, das regungslose,
dort wie ein ewiges Licht hinein;
und eine kleine weiße Rose
trägt einen roten Heiligenschein.
    Werke I , 43f.
    Abend
    D er Abend wechselt

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