Sommer am Meer
Eustaces Bierkrug über die Theke geschoben, und Eustace war durch die Suche nach dem passenden Geld in seiner Hosentasche abgelenkt.
„Alte Freunde, wie?“ fragte Joe und sah Virginia mitneuem Interesse an, und sie sagte: „Ja, ich nehme an, so könnte man es nennen.“
„Ich habe sie zehn Jahre nicht gesehen“, erklärte Eustace ihm, während er die Münzen über die Theke schob. Er sah auf Virginias Glas. „Was trinkst du?“
„Cola.“
„Nimm dein Glas mit nach draußen, wir können uns in die Sonne setzen.“
Sie folgte ihm, sich der Blicke bewußt, die ihnen nachstierten. Die unersättliche Neugier. Draußen im Sonnenschein stellten sie ihre Gläser auf einen Holztisch und setzten sich nebeneinander auf eine Bank, das Gesicht in die Sonne, den Rücken an der weißgetünchten Mauer des Pubs.
„Es macht dir doch nichts aus, hier draußen zu sitzen?
Drinnen können wir kein Wort reden, ohne daß es binnen einer halben Stunde in der ganzen Gegend herumgeht.“
„Ich sitze gerne draußen.“
Er saß so dicht neben ihr, daß Virginia seine rauhe, wettergegerbte Haut ganz deutlich erkennen konnte, das Netz kleiner Fältchen um seine Augen, die ersten weißen Strähnen in dem dichten braunen Haar. Sie dachte, ich bin wieder bei ihm.
Er sagte: „Erzähl.“
„Was?“
„Wie es dir ergangen ist.“ Und dann rasch: „Ich weiß, daß du geheiratet hast.“
„Ja. Fast sofort.“
„Das dürfte der Saison in London ein Ende gemacht haben, vor der dir so gegraut hat.“
„Ja.“
„Und dem Debütantinnenball.“
„Stattdessen habe ich Hochzeit gefeiert.“
„Mrs. Anthony Keile. Ich habe die Anzeige in der Zeitung gesehen.“ Virginia sagte nichts. „Wo lebst du jetzt?“
„In Schottland. Wir haben ein Haus in Schottland...“
„Und Kinder?“
„Ja, zwei. Einen Jungen und ein Mädchen.“
„Wie alt sind sie?“ Er war ehrlich interessiert, und ihr fiel ein, wie gern die Cornwaller Kinder hatten, wie Mrs. Jilkes beim Anblick von niedlichen kleinen Großneffen oder Großnichten jedesmal feuchte Augen bekam.
„Das Mädchen ist acht und der Junge sechs.“
„Hast du sie dabei?“
„Nein, sie sind in London. Bei ihrer Großmutter.“
„Und dein Mann? Ist er hier? Was macht er heute Morgen? Golf spielen?“
Sie starrte ihn an, und zum erstenmal akzeptierte sie, daß eine persönliche Tragödie eben dies ist: persönlich. Die eigene Existenz kann zerbrechen, aber das heißt nicht, daß der Rest der Welt es unbedingt weiß oder daß es sie etwas angeht. Es gab keinen Grund, daß Eustace es wußte.
Sie legte die Hände auf die Tischkante, richtete sie aus, als sei ihre Anordnung von größter Wichtigkeit. Sie sagte: „Anthony ist tot.“ Ihre Hände schienen mit einemmal unkörperlich, beinahe durchsichtig, die Handgelenke zu dünn, die langen mandelförmigen, korallenrot lackierten Nägel zart wie Blütenblätter. Sie wünschte plötzlich glühend, daß sie nicht so seien, sondern stark, braun und tüchtig, mit tiefen Schmutzrillen, die Fingernägel abgenutzt von Gartenarbeit und Kartoffelschälen und Karottenschaben. Sie spürte Eustace' Blick auf sich. Sie konnte es nicht ertragen, ihm leid zu tun.
Er fragte: „Wie ist das passiert?“
„Er kam bei einem Autounfall ums Leben. Er ist ertrunken.“
„Ertrunken?“
„Wir haben einen Fluß in Kirkton... da wohnen wir in Schottland. Der Fluß fließt zwischen dem Haus und der Straße, man muß über die Brücke. Und er ist nach Hause gekommen und ins Schleudern geraten, oder er hat die Kurve falsch eingeschätzt, und der Wagen durchbrach das Holzgeländer und stürzte in den Fluß. Es hatte viel geregnet, es war ein nasser Monat gewesen, der Fluß hatte Hochwasser, und der Wagen sank auf den Grund. Ein Taucher mußte hinunter... mit einem Kabel. Und die Polizei hat ihn schließlich herausgewunden...“ Ihre Stimme verlor sich.
Er fragte leise: „Wann?“
„Vor drei Monaten.“
„Noch nicht lange her.“
„Nein. Aber es gab so viel zu tun, so viel zu erledigen. Ich weiß nicht, wo die Zeit geblieben ist. Und dann hab ich mir einen Bazillus eingefangen, eine Art Grippe, und wurde sie nicht wieder los, deshalb sagte meine Schwiegermutter, sie würde die Kinder in London zu sich nehmen, und ich bin hierher zu Alice gekommen.“
„Wann reist du wieder ab?“
„Ich weiß nicht.“
Er schwieg. Nach einer Weile nahm er sein Bierglas und trank es aus. Als er es hinstellte, sagte er: „Hast du einen Wagen
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