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Sommer am Meer

Sommer am Meer

Titel: Sommer am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Brief in das vornehme Couvert zurück und wandte sich erleichtert dem zweiten zu. Die Erleichterung währte jedoch nicht lange. Cara hatte sich das Briefpapier ihrer Großmutter geborgt, doch ihre Sätze waren weder akkurat geschrieben noch wohlgeformt. Die Tinte war klecksig, und die Zeilen liefen schräg nach unten, als ob die Worte hoffnungslos bergab purzelten.
     
    Liebste Mutter,
    Hofentlich hast Du es schön. Hofentlich ist das Wetter schön. In London ist es heis. Ich muß mit Susan Maning Preston Tee trinken. Ich weis nicht, was wir spielen. Gestern abend hat Nicholas geschrien, und Großmutter mußte ihm eine Tablete geben. Er ist gans rot geworden. Ein Auge von meiner Puppe ist abgegangen, und ich kann es nicht finden. Bitte schreib mir balt, wann wir wieder nach Kirkton faren.
    In Liebe Deine Cara.
    P. S. Vergis nicht mir zuschreiben.
     
    Sie faltete den Brief zusammen und steckte ihn weg. Ganz hinten im Garten, jenseits des Rasens, glitzerte Alices Swimmingpool wie ein Schmuckstück. Die kühle Luft war erfüllt von Vogelgesang und Blumenduft. Aus dem Haus hörte sie Alice mit Mrs. Jilkes, der Köchin, sprechen, zweifellos wegen des Hummers, den es zum Abendessen geben sollte.
    Virginia fühlte sich hilflos, ratlos. Sie überlegte, ob sie Alice bitten sollte, die Kinder hierherholen zu können, und wußte im nächsten Augenblick, daß es ausgeschlossen war. Alice' Haus war nicht für Kinder geeignet, sie waren in ihrem Leben nicht vorgesehen. Alice würde sich maßlos ärgern, wenn Cara vergaß, ihre Gummistiefel auszuziehen, wenn Nicholas seinen Fußball in die kostbare Blumenrabatte schoß oder „Bilder“ auf die Tapete malte. Ohne Nanny wäre er zweifellos unerträglich, weil er immer doppelt ungezogen war, wenn sie ihn nicht beaufsichtigte.
    Ohne Nanny. Das waren die ausschlaggebenden Worte. Allein verantwortlich. Sie würde allein für sie verantwortlich sein.
    Schon der bloße Gedanke machte ihr angst. Was würde sie mit ihnen anfangen? Wo würden sie wohnen? Wie Fühler tasteten ihre Gedanken suchend nach Ideen. Im Hotel? Aber die hiesigen Hotels waren vollgestopft mit Sommergästen und schrecklich teuer. Außerdem wäre Nicholas im Hotel genauso nervtötend wie in Haus Wheal. Sie erwog, einen Wohnwagen zu mieten oder mit ihnen am Strand zu zelten wie die zahllosen Tramper, die jeden Sommer einfielen, Feuer aus Treibholz machten und auf dem kühlen Sand schliefen.
    Natürlich könnten sie jederzeit nach Kirkton. Irgendwann würde sie zurück müssen. Doch ihre sämtlichen Instinkte scheuten vor der Heimkehr nach Schottland zurück, vor der Heimkehr in das Haus, wo sie mit Anthony gelebt hatte, an den Ort, wo ihre Kinder geboren waren, den einzigen Ort, der für sie Heimat war. Wenn sie an Kirkton dachte, sah sie Baumschatten auf hellen Mauern flackern, das kalte Nordlicht an den weißen Zimmerdecken reflektieren; sie hörte ihre eigenen Füße die teppichlose, gebohnerte Treppe hinaufgehen. Sie dachte an die klaren Herbstabende, wenn die ersten Gänse vorüberflogen, und an den Park vor dem Haus, der sich bis ans Ufer des tiefen, rasch dahineilenden Flusses hinunterzog...
    Nein, noch nicht. Cara würde warten müssen. Später würden sie vielleicht nach Kirkton zurückkehren. Noch nicht. Hinter ihr schlug eine Tür, und sie wurde durch die Ankunft des von der Arbeit heimgekehrten Tom Lingard abrupt in die Wirklichkeit zurückgeholt. Sie hörte ihn nach Alice rufen, dann seine Aktentasche auf den Dielentisch werfen und auf der Suche nach seiner Frau in den Innenhof herauskommen.
    „Hallo, Virginia.“ Er bückte sich und gab ihr einen flüchtigen Kuß auf den Scheitel. „Ganz allein? Wo ist Alice?“
    „Sie hat in der Küche eine Besprechung mit einem Hummer.“
    „Post von den Kindern? Alles bestens? Na prima...“ Es war Toms Eigenart, nie eine Antwort auf seine Fragen abzuwarten. Virginia fragte sich zuweilen, ob dies das Geheimnis seines enormen Erfolgs war. „Was hast du den ganzen Tag gemacht? In der Sonne gelegen? Genau das Richtige. Hast du Lust, jetzt mit mir schwimmen zu gehen? Die Bewegung wird dir guttun nach der Faulenzerei. Alice soll auch mitkommen...“ Leichten Schrittes und strotzend vor Energie ging er ins Haus und durch den Flur zur Küche, während er lauthals nach seiner Frau rief. Und Virginia, dankbar für die Aufforderung, stand auf, nahm ihre Post, ging gehorsam hinein und nach oben in ihr Zimmer, um einen Bikini anzuziehen.

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