Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
wirst deine Katechismuslektionen wiederholen, Michael.«
    Mike nickte. »Möglich, aber was sagt die Kirche über das Böse?«
    Pater Cavanaugh holte eine Packung Marlboro aus der Tasche seines Baumwollhemds, schüttelte eine Zigarette heraus und zündete sie an. Er pickte einen Tabakkrümel von der Zunge. Seine Stimme wurde ernst. »Nun, du weißt, die Kirche anerkennt die Existenz des Bösen als eine unabhängige Kraft...« Er sah Mikes verständnislosen Blick. »Zum Beispiel Satan. Der Teufel.«
    »Ach ja.« Mike mußte an den Gestank denken, der aus den Tunneln kam. Satan. Plötzlich kam ihm das Ganze ein wenig albern vor.
    »Thomas von Aquin und andere Theologen haben sich jahrhundertelang mit dem Problem des Bösen beschäftigt und zu ergründen versucht, wie es eine separate Kraft sein kann, während die Dreieinigkeit zugleich die allmächtige, unbesiegbare Macht ist, wie es in der Schrift steht. Die Antworten sind größtenteils unbefriedigend, aber das Kirchendogma sagt uns, wir müssen glauben, daß das Böse seinen eigenen Einflußbereich und seine eigenen Agenten hat ... Kannst du mir folgen, Michael?«
    »Ja, gewissermaßen.« Mike war nicht ganz sicher. »Demnach kann es böse Mächte geben, so wie... Engel?«
    Pater Cavanaugh seufzte. »Nun, jetzt bewegen wir uns in mittelalterlichen Vorstellungen, Michael, oder nicht? Aber im großen und ganzen, ja, das lehrt die Tradition der Kirche.«
    »Was sind diese bösen Mächte, Pater?«
    Der Priester klopfte sich mit den langen Fingern an die Wange. »Was sind diese Mächte? Nun, zunächst einmal natürlich Dämonen. Und Inkubi. Und Sukkubi. Und Dante kategorisiert ganze Familien und Spezies von Dämonen, herrliche Geschöpfe mit Namen wie Draghi-gnazzo - das heißt >einem großen Drachen gleich< - und Barbariccia, >der mit dem krausen Bart<, und Graf-fiacane, >der Hunde kratzt<, und...«
    »Wer ist Dante?« fragte Mike, der ganz aufgeregt wurde bei dem Gedanken, jemand könnte hier in der Nähe wohnen, der sozusagen ein Experte auf dem Gebiet war.
    Pater C. seufzte wieder und drückte die Zigarette aus. »Ich habe ganz vergessen, daß wir hier im siebenten Kreis der Einsamkeit vom Bildungssystem abhängig sind. Dante, Michael, ist ein Dichter, der vor rund sechshundert Jahren gelebt hat. Ich fürchte, ich bin vom Gegenstand unserer Diskussion abgekommen.«
    Mike trank seinen Kaffee leer, trug die Tasse zur Spüle und wusch sie gründlich aus. »Können diese Wesen... diese Dämonen... Menschen Schaden zufügen?«
    Pater Cavanaugh sah ihn stirnrunzelnd an. »Wir sprechen von den geistigen Schöpfungen der Menschen, die in einer unwissenden Zeit lebten, Michael. Wenn Menschen krank wurden, gaben sie Dämonen die Schuld. Ihre einzige Medizin bestand darin, Egel anzusetzen...«
    »Blutsauger?« Mike war schockiert.
    »Ja. Man gab Dämonen die Schuld an Krankheit, geistiger Zurückgebliebenheit...« Er verstummte, weil ihm möglicherweise eingefallen war, daß eine Schwester seines Meßknaben zurückgeblieben war. »Schlagfluß, schlechtes Wetter, Geisteskrankheiten... alles, das sie nicht erklären konnten. Und sie konnten sehr wenig erklären.«
    Mike drehte sich wieder zum Tisch um. »Aber glauben Sie, daß so was existierte... existiert? Daß sie immer noch hinter den Menschen her sind?«
    Pater Cavanaugh verschränkte die Arme. »Ich glaube, die Kirche hat uns eine wunderbare Theologie gegeben, Michael. Aber betrachte die Kirche als riesigen Schaufelbagger, der auf dem Grund des Flusses nach Gold sucht. Er fördert jede Menge Gold zutage, aber auch jede Menge Schlamm und Dreck vom Baggern.«
    Mike runzelte die Stirn. Es gefiel ihm nicht, wenn Pater C. solche Vergleiche anstellte. Der Priester nannte sie Metaphern; Mike nannte es, einer Frage ausweichen. »Existieren sie?«
    Pater Cavanaugh breitete die Hände mit nach oben gekehrten Handflächen aus. »Möglicherweise nicht im wortwörtlichen Sinn, Michael. Sicher mehr im übertragenen.«
    »Falls sie existieren würden«, beharrte Mike, »würden Kirchensachen sie aufhalten, so wie Vampire in Filmen?«
    Der Priester lächelte verhalten. »Kirchensachen?«
    »Sie wissen schon... Kruzifix, Weihwasser, Hostien ... solche Sachen.«
    Pater C. zog die dunklen Brauen hoch, als würde er auf den Arm genommen werden. Mike, der auf eine Antwort wartete, bemerkte es nicht.
    »Gewiß«, sagte der Priester. »Wenn diese... äh... Kirchensachen bei Vampiren funktionieren, dann doch sicher auch bei Dämonen. Oder

Weitere Kostenlose Bücher