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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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etwas, das sein Dad dort liegengelassen hatte. Er wand sich einen Meter näher hin und hielt inne.
    Es war ein Loch, makellos rund, etwa vierzig Zentimeter im Durchmesser. Mike hätte Kopf voran hinunterkriechen können, wenn er gewollt hätte. Er wollte nicht.
    Er konnte es riechen. Mike schüttelte seinen Ekel ab und kroch näher hin. Ein Gestank kam aus dem Tunnel wie aus der Abdeckerei.
    Mike hob einen Stein hoch und warf ihn in das Loch. Kein Geräusch.
    Er keuchte leise, und sein Herz klopfte so laut, daß er sicher war, Memo würde es durch den Holzboden hören können; er hob die Taschenlampe zum Balken, stieß sie nach vorne und versuchte, den Lichtstrahl in das Loch hinunterzurichten.
    Zuerst dachte er, die Tunnelwände bestünden aus rotem Ton, aber dann sah er die gerippten Wände gleich blutroten Gefäßen, wie die Eingeweide eines Lebewesens. Wie der Tunnel im Friedhofsschuppen.
    Mike wich zurück, wirbelte beim Rückzug eine Staubwolke auf und walzte in seiner panischen Flucht über Spinnennetze und Katzendreck. Als er sich umdrehte, verlor er einen Moment das erleuchtete Rechteck aus den Augen und war überzeugt, daß etwas den Eingang versiegelt hatte.
    Nein, da ist er.
    Mike kroch auf Ellbogen und Knien, stieß sich den Kopf an den Balken an, spürte die Spinnweben im Gesicht und kümmerte sich gar nicht darum. Die Taschenlampe war jetzt halb unter seinem Körper und nützte ihm nichts mehr. Mike glaubte, er könnte noch mehr Tunnelöffnungen wenige Meter links erkennen, unter der Küche, aber er kroch nicht näher hin, um es zu bestätigen.
    Eine Gestalt trat vor die Öffnung zum Kriechraum und verdunkelte das Licht. Mike konnte zwei Arme und zwei Beine sehen, möglicherweise mit Wickelgamaschen.
    Er drehte sich auf die Seite und hob die Lampe. Die Gestalt kroch halb in die Öffnung und nahm noch mehr Licht weg.
    »Mikey?« Es war die Stimme seiner Schwester Kath-leen, sanft, rein, auf ihre langsame Weise unschuldig. »Mikey, Mom sagt, du mußt dich auf den Weg machen, wenn du rechtzeitig in der Kirche sein willst.«
    Mike brach fast auf dem feuchten Erdboden zusammen. Sein rechter Arm zitterte. »Okay, Kathy, geh zurück, damit ich raus kann.«
    Der Schatten gab den Eingang frei. Mit vor Anstrengung buchstäblich schmerzendem Herzen kroch Mike vorwärts und kletterte hinaus. Er machte den Zugang wieder dicht, indem er Nägel oben in das Rechteck hineinschlug.
    »Herrje, du siehst schlimm aus, Mikey«, sagte Kathleen und lächelte ihn an.
    Mike sah an sich hinab. Er war mit grauem Staub und Spinnweben überzogen. Seine Ellbogen bluteten. Er schmeckte Erde auf den Lippen. Impulsiv nahm er seine Schwester in die Arme. Sie umarmte ihn ebenfalls und störte sich offensichtlich nicht im geringsten daran, daß sie auch schmutzig wurde.
    Mehr als vierzig Menschen kamen zu der >privaten< Gedenkfeier in der Howell-Leichenhalle in Peoria. Duane hatte den Eindruck, als wäre der Alte fast enttäuscht über den Lauf der Ereignisse, als hätte er sich die letzte Feier für seinen Bruder ganz für sich allein gewünscht. Aber die Todesanzeige in der Zeitung von Peoria und ein paar Anrufe, die der Alte erledigt hatte, hatten immerhin Leute selbst von Chicago und Boston hergeführt. Mehrere Mitarbeiter von Onkel Art in der Planierraupenfabrik kamen, einer weinte unverhohlen während des kurzen Festakts.
    Es war kein Priester anwesend - Onkel Art hatte sich an die Familientradition gehalten und war militanter Agnostiker gewesen -, aber mehrere Anwesende hielten kurze Nachrufe: der Mitarbeiter, der geweint hatte und während seiner Rede wieder weinte; Cousine Carol, die von Chicago hergeflogen war und am selben Abend wieder zurück mußte; eine attraktive Frau mittleren Alters aus Peoria mit Namen Dolores Stephens, die der Alte als >eine Freundin von Onkel Art< vorgestellt hatte. Duane fragte sich, wie lange sie und Onkel Art schon ein Liebespaar gewesen waren.
    Schließlich hatte der Alte selbst gesprochen: Duane fand, daß es eine überaus rührende Ansprache war - kein Geschwätz von einem nächsten Leben oder von Lohn für ein ordentliches Leben, nur traurige Worte um einen verlorenen Bruder nebst der Beschreibung einer Persönlichkeit, die sich nicht vor falschen Ikonen verneigt, sich aber bemüht hatte, Mitmenschen stets anständig und gut zu behandeln. Der Alte endete mit einem Zitat von Shakespeare -Onkel Arts Lieblingsschriftsteller -, und Duane hatte mit >Und Engelsscharen betten dich zur Ruh ...<

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