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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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hochheben und uns beide schnappen.
    Lawrence schnarchte leise und sabberte ein wenig auf seinen Roy-Rogers-Kissenbezug. Dale sah zur gegenüberliegenden Wand und zählte die Spiere und Masten der Segelschiffe auf der Tapete. Er bemühte sich, nicht zu laut zu atmen. Damit er besser hören konnte. Damit er besser hörte, falls etwas ein Geräusch machte, bevor es zuschlug.

18 
    Donnerstags ging der Alte zum Haus von Onkel Art, um ein paar Dokumente zu suchen, und Duane begleitete ihn, obwohl es seinem Vater nicht gefiel, ihn dabei zu haben.
    Der Alte war gereizt und fahrig und offenbar kurz davor, so richtig aus der Kurve zu schießen. Duane wußte, er hatte nur aus Liebe zu seinem Bruder und dem Bedürfnis, vor der Familie keine Schande zu machen, so lange durchgehalten.
    Teilweise war die Nervosität des Alten darauf zurückzuführen, daß er nicht gewußt hatte, was er mit Onkel Arts Asche machen sollte. Er war entsetzt gewesen, als die Leute von der Leichenhalle ihm die schwere verzierte Urne gegeben hatten, die wie ein stummer und unerwünschter Passagier mit ihnen von Peoria zurückgefahren war.
    Mittwochabend nach dem Abendessen, bevor Dale Stewart angerufen hatte, hatte Duane in die Urne hineingesehen. In diesem Augenblick war der Alte ins Zimmer gekommen und hatte seine Pfeife angezündet.
    »Die weißen Stücke, die wie Kreidescherben aussehen, sind Knochen«, hatte der Alte gesagt und die Pfeife gepafft.
    Duane hatte den Deckel wieder zugemacht.
    »Man sollte meinen, wenn sie einen Leichnam in einen Ofen stecken, der Temperaturen wie die Sonnenoberfläche zustande bringt, sollte außer Asche und Erinnerungen nichts übrig bleiben«, hatte sein Vater gesagt. »Aber Knochen sind haltbare Dinger.«
    Duane hatte sich auf einen selten benützten Sessel beim Kamin gesetzt. Plötzlich waren seine Beine schwach und schwer zugleich gewesen. »Erinnerungen sind auch haltbar«, hatte er laut gesagt und sich gefragt, warum er so ein Klischee ausgesprochen hatte.
    Der Alte hatte gegrunzt. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo ich die verteilen soll. Barbarischer Brauch, wenn man darüber nachdenkt.«
    Duane hatte die Urne betrachtet. »Ich glaube, man muß sie an einem Ort verstreuen, der im Leben des Betreffenden wichtig gewesen ist«, sagte er leise. »Einem Ort, wo sie glücklich gewesen sind.«
    Der Alte grunzte wieder. »Du weißt, daß Art ein Testament hinterlassen hat, Duanie. Aber in dem verdammten Testament steht kein Wort, wo ich diese Asche loswerden soll. Ein Ort, wo er glücklich war...« Er versank in Nachdenken und paffte die Pfeife.
    Duane sagte: »Der Hauptlesesaal der Bradley-Bibliothek wäre gut.«
    Der Alte kicherte. »Darüber müßte Art auch lachen.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund und sah einen Moment lang weg. »Sonst noch Vorschläge?«
    »Er hat für sein Leben gern am Spoon geangelt.« Duane spürte, wie die beißende Peristaltik des Kummers erneut seinen Hals und sein Herz würgte. Er ging in die Küche, ein Glas Wasser holen. Als er zurückkam, war die Pfeife des Alten ausgegangen und er machte sie sauber und klopfte die Asche in den Kamin. Asche.
    »Du hast recht«, sagte der Alte plötzlich. »Das war wahrscheinlich der Ort, wo es ihm am besten gefallen hat. Er und ich sind schon zum Angeln dorthin gefahren, bevor Art von Chicago hergezogen ist. Er hat dich immer dorthin mitgenommen, oder nicht?«
    Duane nickte und trank einen Schluck Wasser als Ausrede, nicht reden zu müssen. In diesem Augenblick hatte das Telefon geläutet, Dales Anruf, und als Duane wieder hereingekommen war, hatte sich der Alte in die Werkstatt zurückgezogen und bastelte an seiner Mark V-Lernma-schine.
    Sie waren kurz nach Sonnenaufgang zum Fluß gegangen, als die Fische zum Fressen zur Oberfläche kamen und große Kreise erzeugten, so daß Duane sich wünschte, er hätte seine Gerte mitgebracht. Eine richtige Feier gab es nicht; der Alte hielt die Urne einen Moment lang fest, als wollte er den Inhalt plötzlich nicht mehr hergeben, doch als das Sonnenlicht dann auf die Zypressen und Weiden über ihnen fiel, verstreute er die Asche und klopfte auf den Boden des Gefäßes, bis das letzte Restchen draußen war.
    Es waren wirklich Knochenstücke darin. Wasser spritzte, als sie hineinfielen und Katzenwelse und mindestens einen Barsch anlockten, den Duane im flachen Wasser beim Ufer sah. Anfangs blieb die Asche zusammen und bildete einen grauen Film, der der Strömung folgte und um die Strudel kreiste, die Duane

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