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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Frösche und Grillen am Bach in der Schlucht unter sich. Der Hügel hinter der Black Tree Tavern war mit Müll und Abfall übersät, schwarze Schatten vor einem schwärzeren Hintergrund, und Duane machte den Reißverschluß auf, pinkelte in die Dunkelheit und hörte den Strahl unten auf etwas Metallisches plätschern. Brüllendes Gelächter erklang aus einem hellen Fenster, und Duane konnte die Stimme des Alten hören, die sich über die anderen erhob und darauf vorbereitete, ihnen den Gag der Geschichte zu präsentieren.
    Duane liebte die Geschichten des Alten, aber nicht, wenn er trank. Dann wurden die sonst lustigen Schilderungen gemein und düster und zynisch. Duane wußte, daß sich der Alte für einen Versager hielt. Gescheiterter Harvardstudent, gescheiterter Ingenieur, gescheiterter Farmer, gescheiterter Erfinder, gescheiterter Wie-werdeich-schnell-reich-Geschäftsmann, gescheiterter Ehemann, gescheiterter Vater. Du-ane stimmte der Einschätzung des Alten normalerweise zu, fand aber, daß das Urteil zu letzterem noch nicht endgültig gesprochen werden konnte.
    Duane ging zum Laster zurück, stieg ins Führerhaus und ließ die Tür offen, damit der Whiskygeruch abziehen konnte. Er wußte, der Barkeeper, der heute abend Dienst hatte, würde den Alten rauswerfen, bevor er gewalttätig wurde. Und er wußte, er würde den Alten auf die Ladepritsche des Lasters verfrachten müssen, damit er nicht herumzappelte oder ins Lenkrad griff, und dann würde er - Duane, letzten März elf Jahre alt geworden, ein Dreier-Schüler mit einem IQ von 160+ laut Onkel Art, der ihn vor zwei Wintern zur U von 1 geschleift hatte, damit er sich einem Test unterzog, aus weiß Gott für Gründen -, dann würde er den Alten heimfahren, ins Bett bringen, das Abendessen machen und in die Scheune gehen und nachsehen, ob die Teile für den John-Deere-Traktor paßten.
    Später, viel später, wurde Duane von einem Flüstern in seinem Ohr geweckt.
    Obwohl er noch halb schlief, wußte er, daß er zu Hause war - er hatte den Alten über die beiden Hügel, am Friedhof und dem Haus von Dales Onkel Henry vorbei und über die County Six zur Farm gefahren; er hatte den schon schnarchenden alten Mann ins Bett gebracht und danach die neue Sämaschine angeschraubt, ehe er hereingekommen und sich einen Hamburger gemacht hatte -, aber es überraschte ihn, daß er eingeschlafen war, obwohl ihm das Radio noch ins Ohr flüsterte.
    Duane schlief im Keller in einem Raum, den er mit einer hängenden Decke und ein paar Kisten abgeteilt hatte. Es war nicht so bemitleidenswert, wie es sich anhörte. Der erste Stock war im Winter zu kalt und einsam, der Alte schlief nicht mehr im Schlafzimmer, das er mit Duanes Mutter geteilt hatte. Der Alte schlief auf der Bettcouch im Wohnzimmer, und Duane hatte seinen Keller; hier unten beim Ofen war es warm, selbst wenn der Wind im kalten Bauch des Winters über die Stoppelfelder wehte, hier war eine Dusche, im ersten Stock nur eine Badewanne, und Duane hatte ein Bett heruntergebracht, einen Schrank, sein Labor und das Zeug aus der Dunkelkammer, seine Werkbank und seinen elektronischen Kram.
    Duane hörte, seit er drei war, bis spät in die Nacht Radio. Das hatte der Alte auch gemacht, aber vor ein paar Jahren hatte er es aufgegeben.
    Duane hatte Röhrengeräte und gekaufte Receiver, Bausätze von Heath und umgebaute Konsolen, Kurzwellenempfänger und sogar ein neues Transistormodell. Onkel Art hatte vorgeschlagen, Duane sollte es mit CB-Funk versuchen, aber das interessierte Duane nicht. Er wollte nicht senden; er wollte zuhören.
    Und er hörte zu - spätnachts im Schatten seines Kellers, wo überall Antennenkabel gespannt waren, an Leitern hinauf verliefen und zu Fenstern hinaus. Duane hörte die Sender von Peoria, Des Moines und Chicago, und natürlich auch die großen Sender in Cleveland und Kansas City, aber am meisten Freude bereiteten ihm die fernen Sender, das Flüstern von North Carolina und Arkansas und Toledo und Toronto und gelegentlich, wenn die Ionosphäre richtig und die Sonnenflecken ruhig waren, ein Plappern in Spanisch oder die fast ebenso fremden langsamen Töne von Alabama, die Kennbuchstaben eines kalifornischen Senders oder ein Hörerwunschkonzert in Quebec. Duane hörte Sportübertragungen, machte in der Dunkelheit in Illinois die Augen zu und stellte sich die Spielfelder bei Flutlicht vor, wo das Gras so grün war wie Blut rot, und er hörte Musik - er mochte Klassik, stand auf Big Band, aber starb für

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